Nach Steinchen-Piraten, Klemmbau-Superhelden und Noppen-Hobbits jetzt auch LEGO-Langhälse: Klotzkopf Roberts verklemmter Kommentar über ein Phänomen, das ihn immer wieder an Basteltisch und Fernseher lockt – auch wenn's manchmal ein bisschen zu hohl wird.
KOLUMNE • Woher kommt eigentlich unsere große Lust auf LEGO? Also nicht nur auf LEGO an sich – sondern vor allem auf die LEGO-Ästhetik. Vergleichen wir die Modelle aus dem dänischen Klotzkopf-Kosmos mit Figuren, deren einziger Daseinszweck darin besteht, geil auszusehen, die jeweilige Vorlage (falls es denn eine gibt) möglichst akkurat abzubilden und in all ihrer optischen Geilheit vom Moment des Auspackens an in einer Vitrine oder einem Regal zu verbringen, dann schneidet LEGO meist eher mäßig ab. Kein Wunder, denn alles was bei LEGO dafür geschaffen ist, das Modell zusammenzuhalten, sieht nicht unbedingt schön aus und lässt sich oft auch nur schwer in der Konstruktion verstecken. Wer LEGO wirklich SCHÖN findet, muss deshalb vermutlich schon in seiner Kindheit eine Beziehung dazu aufgebaut haben – also dazu, die Noppen-Steinchen kreativ EIN- und dabei möglichst so ANzusetzen, dass es eben nach einem Flugzeug, einem Auto, einem Schiff, einem Drachen oder einem coolen Roboter, und NICHT nach einem Haufen pockennarbigen Plastiks aussieht.
Wer früher LEGO-Piraten über die selbstgebaute Planke geschickt, Noppen-Flieger vom Kinderzimmer-Terminal hat starten lassen oder an Bord spaciger Bastel-Brummer den Klemmbausteim-Kosmos erkundet hat, der weiß zu schätzen, was die Billunder Baumeister und Klemm-Konstrukteure verwandter Produkt-Labels austüfteln. Damit ein Rasender LEGO-Falke auch als solcher erkennbar ist oder ein Langhals aus Guerrillas "Horizon"-Serie eben wie genau die Sorte Roboter-Ungetüm aussieht, die wir aus den PlayStation-Spielen des niederländischen Sony-Studios kennen. Und wer schon als Kind(skopf) Hand an die dänischen Plastiknippel gelegt hat, der wird diese Art des Modellbaus eben mit ganz anderen Augen sehen: Der findet einen LEGO-Langhals und einen geklemmten Sternenzerstörer eben nicht komisch, sondern erkennt darin eine virtuose Kombination von Bautechniken, die wider aller Umstände dazu geführt haben, dass man die Vorlage sofort erkennt.
LEGO-Modelle wahrhaft schick zu finden – das hat also etwas mit der Würdigung von Workarounds zu tun. Und mit der Bewunderung für Tricks und Kniffe, mit denen die Beschränkungen eines Systems umgangen werden, das ursprünglich niemals auf diese Sorte filigraner Konstruktion ausgelegt war. Auch wenn sich ein Held der Steine, der eher robuste, Spielzeug-taugliche Bauten schätzt und z.B. keine Eins-zu-Eins-Maßstabs-Modelle wie eine Atari-Klemm-Konsole mag, darüber im Grab umdreht (also natürlich erst, nachdem er sich in ferner Zukunft über den LEGO-Konzern unweigerlich, aber unterhaltsam zu Tode geärgert hat).
Das zumindest könnte nicht nur erklären, warum wir kolossalen Klotz- und Klemm-Klabauter nicht nur regelmäßig hunderte Euro in Steinchen-Sammlungen stecken, für die wir auch wesentlich schönere (und Pflege-freundlichere) Figuren bekommen würden – sondern warum wir obendrein Videogames spielen, deren Entwickler und Hersteller Unsummen investieren, um genau diese Art von Ästhetik für einen digitalen Spielplatz zu rekonstruieren. Und zwar möglichst so, dass er a) als echte LEGO-Landschaft funktionieren würde und b) trotzdem auf dem Bildschirm großartig aussieht – und zwar auf eine Art und Weise, die an die alten Verpackungs-Kunstwerke der Dänen erinnern.
Nur: Warum eigentlich? Als echtes Spielzeug machen die notwendigen Reduktionen und Workarounds ja noch Sinn – aber weshalb ein Konstruktions-Spielzeug auf den Bildschirm holen, obwohl wir damit auf PlayStation, PC, Switch & Co. gar nicht mehr bauen, sondern eben nur mit fertigen Figuren spielen können? Und wieso mit viel Aufwand LEGO-Grafik liefern, wenn auch fotorealistische Szenarien mit "echten" Menschen gingen? Das liegt zum einen daran, dass sich die LEGO-Ästhetik so sehr in der Popkultur etabliert hat, dass wir sie als eigenständige visuelle Realität und vielleicht sogar Kunstform wahrnehmen – es wird als schön empfunden, was eigentlich gar nicht schön ist, weil in dieser Welt eben andere ästhetische Maßstäbe gelten. Hinzu kommt, dass echte LEGO-Modelle ja schon lange nicht mehr zum Bespielen gemacht sind – dafür sind die meisten dieser Vitrinen-Modelle viel zu empfindlich. I
ch für meinen Teil werde jedenfalls schon jetzt nervös, wenn ich darüber nachdenke, wie ich LEGO-Baumhaus, LEGO-Piratenbucht, LEGO-"Star Wars", LEGO-NES, LEGO-"Pac Man" und so viele andere, rasant verstaubende Noppen-Schlachtfelder umziehen soll, wenn ich dereinst meine Meringer Nerd-Bude nach über zwei Jahrzehnten wieder verlasse (also nicht erst im Sarg, sondern schon möglichst davor). Vermutlich sollte ich mich höchstens bis zum Nachbarort bewegen, damit ich notfalls jedes Modell einzeln umziehen kann. Oder viel Geld für einen professionellen LEGO-Umzugsdienst in die Hand nehmen, dem ich dann für jeden verlorenen Stein und für jedes demontierte Modell die Schuld geben und ihn nach Strich und Stein verklagen kann.
Derart nervöse Zitterpartien gibt es bei digitalen Knobel- und Klotz-Parties wie den "LEGO Batman"-Spielen, div. "LEGO-Marvel"-Orgien, "LEGO Star Wars", "LEGO Herr der Ringe", "LEGO Fluch der Karibik" oder "LEGO Indiana Jones" natürlich nicht zu befürchten. Vielleicht sind die virtuellen Klemmbau-Bollwerke deshalb ja in Wahrheit so etwas wie das moderne, gut mit Bausteinen gefüllte Kinderzimmer für gealterte LEGO-Baumeister, die ihre Klotz-Kunstwerke heute in einer Stoß- und Erdbeben-sicheren, auf hunderttausende Euro versicherten Panzerglas-Vitrine stehen haben – anstatt damit zu Raumschiff- und Laser-Sounds aus der Spuck-Orgel durch das Wohnzimmer zu toben. Also gibt's jetzt statt "Pew-Pew" aus dem Mund viel "KAWUMM" aus den Heimkino-Boxen bzw. Surround-Headsets, während nach ein paar Laser-Garben die Steine auseinander spritzen.
Im Falle von ursprünglich im Reich der Filme und Serien beheimateten, inzwischen LEGOfizierten Marken ist das schon alleine deshalb nachvollziehbar, weil Film-Umsetzungen für Konsole & Co. selten das gehalten haben, was die Vorlage versprochen hat. "Herr der Ringe" und neuer "Star Wars"-Film als Direkt-Lizenz für PlayStation oder PC? Neee, lass mal. Aber über den Umweg LEGO-Lizenz? Klaro, immer her damit! Denn obwohl der ewig gleiche Konzeptmix aus Adventure Superlight und klotzigem Jump'n'Run mit der Zeit zunehmend träge bis dröge wurde, so lieferte Entwickler Traveller's Tales (pardon "TT Games") doch auf konstant hohem Niveau ab – also zumindest, was Production-Values und Playability angeht. Wer kein Problem damit hat, im Grunde ständig im gleichen Themenpark unterwegs zu sein, der wird tatsächlich mit jedem LEGO-Game happy.
Eine echte Kuriosität innerhalb einer Spielemarke, die bereits an sich eine Art virtuelles Kuriositäten-Kabinett darstellt, ist vor diesem Hintergrund das kürzlich veröffentlichte "LEGO Horizon": Das ist zwar – streng genommen – auch die Umsetzung einer Marke, die es bereits davor in echter Klotzform gab, aber trotzdem das bislang einzige LEGO-Videogame, das sich eines Franchises bedient, das bereits im Original selber ein Spiel war. Wir spielen hier also die Umsetzung eines Games, das in dieser Form auf eine Reduktion seiner ursprünglichen Spiel-Mechanismen herunter gebrochen wird, obwohl es ja bereits im Original eine Reduktion war. Weil es im echten Leben komplexe Abläufe als Spiel erlebbar machen sollte.
Das ist dann ungefähr so, als würde die ECHTE-ECHTE Aloy in den Ruinen unserer Welt eine PlayStation finden, auf der sie ihre eigenen Abenteuer per "Horizon" in reduzierter Form nachspielt, um dort als virtuelle Mini-Aloy einen Automaten zu finden, auf dem sie dann die noch simplere Umsetzung der Umsetzung daddelt. Und sich dann am Ende darüber wundert, wie doof Menschen eigentlich damals waren. Aber ja, die kleine Klotzkopf-Aloy findet sie süß und die Grafik toll! Siebeneinhalb von zehn möglichen Robo-Dino-Schrauben!
Will sagen: Ich liebe LEGO – und ich verstehe den Reiz von LEGO-Spielen – weil ich ihm früher selber extrem erlegen war. Ein Reiz, der zwar inzwischen mit jedem weiteren Spiele-Abenteuer der Klötzchen-Rasselbande etwas weiter abnimmt, mit dem ich aber alleine aufgrund seiner knuffigen Klotz-Ästhetik noch immer zumindest sympathisiere. Also ja, ich hatte mit einem "LEGO Horizon" meinen Spaß. Der aber eben vor allem daher rührte, dass ich es so unglaublich putzig finde, die LEGO-Pendants zu all den Spiel-Elementen zu sehen, die ich auch in den "großen Horizons" so wunderschön finde, während das Spiel selber sich keinerlei Blößen gegeben hat, die mich darin behindert hätten, genau das zu genießen. Ich habe aber nicht gerne nach LEGO-Art ge-aloyt, weil das Spiel so innovativ wäre oder die erneute Verspielung einer ohnehin schon verspielten Vorlage abseits des Umstandes, dass sie jetzt anders und vor allem niedlicher aussieht, wirklich hätte rechtfertigen können. Dafür bietet "LEGO Horizon" leider zu wenig echte, clevere satirische Einordnung des Originals – und auch zu wenig kreative Impulse, um sich vor ihm zu emanzipieren.
Natürlich werde ich auch künftig nicht anders können, als die LEGOfication anderer Marken zu spielen – eben weil ich totaler LEGO-Fan bin. Und als solcher würde ich es mir wirklich wünschen, wenn LEGO und die Entwickler (in diesem Fall ausnahmsweise Guerrilla statt TT Games) endlich mal verstehen würden, dass nicht nur vor den Baukästen, sondern auch vor deren Versoftung heutzutage wohl zumindest jede Menge, wenn nicht gar mehrheitlich "AFOL", also "Adult Fans of LEGO" sitzen.
Robert Bannert