Naughty Dog kündigt mit "Intergalactic" eine neue Spiele-Marke an – viel 80er-Kult und eine glatzköpfige Tati Gabrielle als Frontfigur inklusive. Ersteres finden
viele toll – aber das digitale Konterfei der Darstellerin trifft vor allem auf eins: jede Menge HASS. Warum eigentlich? Was soll der SCHEISS? Robert Bannert über digitale Gleichberechtigung und
ein Medium, das noch viel mehr Mut zu glatzköpfigen, muskelbepackten, vernarbten Heldinnen wagen sollte.
Vor ein paar Wochen habe ich mich auf Facebook skeptisch über das neue Naughty-Dog-Projekt "Intergalactic: The Heretic Prophet" ausgelassen – nicht etwa, weil ich Probleme mit seiner Heldin hätte, sondern weil ich befürchte, es könnte sich um einen Vertreter der bei mir eher ungeliebten Soulsborne-Gattung handeln und ich außerdem mit der extremen 80er-Verkultung im Trailer fremdle. Inzwischen bereue ich das fast schon wieder – denn der Hass, der "Intergalactic" wegen seiner weiblichen Front-Figur seitdem entgegenschlägt, ist mir so dermaßen zuwider, dass ich mich schon fast dafür schäme, Teil der hier vor allem ätzenden, pöbelnden Gaming-Community zu sein.
Nicht nur, dass ich "Intergalactic"-Darstellerin Tati Gabrielle sehr mag und ihr glatzköpfiges, durchtrainiertes Badass-Spiele-Pendant sogar richtig sexy finde – vor allem verstehe ich nicht, warum es auf einmal ein Problem darstellen sollte, eine Frau zu spielen. Und zwar mal keine, die aus dem Barbie-Baukasten für digitale Selbstbefriedigungs-Trips kommt. Sondern eine Dame, die genauso lebendig und ihrem Spiel-Umfeld angepasst wirkt, wie das sonst bei einer männlichen Figur der Fall wäre. Warum darf eine Cirilla von Cintra als Hauptfigur nicht ähnlich kaputt und kampfgestählt aussehen wie Geralt? Und warum ist sie deshalb bitte gleich unattraktiv? Den vernarbten, verlebten Hexer jedenfalls haben eine ganze Menge Damen für seeehr sexy gehalten – und ihn auch gerne gespielt. Und nur um Missverständnissen vorzubeugen: Nein, meine Herrn, Eurer Freundin wächst kein Penis, wenn sie Geralt spielt – und Euch fällt er auch nicht ab, wenn Ihr Euch darauf einlasst, in die Rolle von Ciri zu schlüpfen. Und falls Ihr dennoch fest daran glauben solltet, dass das passieren könnte: Hey, keine Panik – dann zockt Ihr eben einfach wieder "Witcher 3" – und schon wächst Euch ein neuer!
Also alles bestens?
Schön wär's – doch ganz so leicht zu überzeugen ist die hartnäckige "Ich falle lieber tot um, als eine Frau zu spielen!"-Front eben doch nicht. Und einfach tot umfallen wollen sie dann leider ebensowenig. Stattdessen krakeelen, keifen und giften sie weiter – und das Risiko, dass die Popkultur und damit letztlich auch die Kultur im Allgemeinen durch ihr Verhalten langfristig Schaden nimmt, ist leider sehr real. Denn hätte die geifernde Meute schon in den 80ern und 90ern die Möglichkeit gehabt, sich derart zu echauffieren, hätte sich die Entertainment-Subculture vielleicht gar nicht erst bis zu dem Punkt entwickeln können, an dem sie sich aktuell befindet. Und hätte es Filme wie die "Alien"-Reihe in der Form wahrscheinlich gar nicht gegeben. Oder "Terminator". Und Spiele, die aus den hier etablierten, starken Frauen-Rollen hervorgegangen sind.
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ich mich über drei Jahrzehnte nach dem Debüt dieser Filme online mit irgendwelchen unverbesserlichen Ignoranten über z.B. die Rollen-Verteilung in "Masters of the Universe" streiten würde. Weil ich es absolut begrüßenswert finde, dass Charaktere wie Teela oder Evil-Lyn in der Fortsetzung der Zeichentrickserie die Muskelberge auf die hinteren Ränge verdrängen dürfen. Und dass Man-at-Arms in der anstehenden Realverfilmung nicht von einem Weißen, sondern von Idris Elba gespielt wird. Andere stürmen da natürlich sofort aggressiv um sich ballernd die Barrikaden – und in den digitalen Schlagabtausch steigen sie dann mit "Argumenten" wie "In der Vorlage war er aber weiß!".
Oder: "Elba kann ja stattdessen Beast-Man oder Trap-Jaw spielen!" Ach so, klar – Monster darf Elba natürlich spielen – aber keinen Menschen oder wirklich wichtigen Charakter bitte!
Auch beliebt: "Wenn Schwarze den Weißen eine Rolle klauen, dann ist das auch Rassismus!"
Und dann natürlich noch: "Ich habe nichts gegen Frauen oder Schwarze – aber das ist alles so aufgezwungen!"
Wenn ich ihnen dann z.B. zu erklären versuche, dass man einen Stoff wie "He-Man" 2025 unmöglich so umsetzen kann wie die schon in den 80er-Jahren rassistische Action-Figuren- und Zeichentrick-Vorlage und es eben die einzige Alternative wäre, den Stoff gar nicht erst neu umzusetzen, dann gehen sie darauf nicht weiter ein – oder servieren mir einfach die obligatorischen Lach-Smileys … also diese infernalen Grinse-Geburten aus den niedersten Niederungen der Social-Media-Hölle, die man meistens dann beschwört, wenn man an echtem Austausch schon lange nicht mehr interessiert ist und einfach nur noch giftige Häme auf den anderen herab regnen lassen möchte.
In solchen Momenten frage ich mich, ob diese Leute aus dem TV-, Kino- und Spiele-Programm, das damals auch der kleine Robert genießen durfte, die falschen Schlüsse gezogen haben – oder eben ich selber. Für mich waren Figuren wie He-Man kaum mehr als (pre-)pubertäre, Testosteron-geschwängerte Heranwachsenden-Fantasien, die mir zwar Spaß gemacht haben, deren Body-Building-Werte-Kosmos ich aber niemals auf die Realität übertragen habe. Ebensowenig hätte ich in "Star Wars" dem bösen Imperium die Daumen gedrückt – ganz gleich, wie cool ich Darth Vader damals auch fand. Weil ich eben gleichzeitig verstanden hatte, dass in Wahrheit natürlich er und sein galaktisches Nazi-Pack die großen Loser waren … und nicht die kleine Rebellen-Allianz.
Damals dachte ich noch, dass jeder andere, der die gleichen Medien und Marken konsumiert, zwangsläufig auch ähnlich denken und ähnlich drauf sein müsste wie ich. Heute weiß ich, dass vermutlich schon damals eine Menge andere den Entschluss gefasst hatten, sich auf die Seite der Arschlöcher zu schlagen. Und sich nicht deshalb in der Mucki-Bude stahlharte Muskeln anzutrainieren, um wie He-Man die Schwachen zu verteidigen – sondern weil sie ganz einfach jeden damit verdreschen und unterdrücken wollten, der in IHREN AUGEN das Böse darstellt. Will heißen: ihnen unbequem ist.
Irgendwann wurde dann aus der vielleicht noch ansatzweise verständlichen Lust auf Widerstand und Ungehorsam eine so ernsthafte "Sympathy for the Devil", dass man einfach auf der dunklen Seite der Macht geblieben ist. Und wer bisher noch ein biiiiiisschen daran gezweifelt hat, ob sich diese Strategie auf Dauer auszahlen würde, der sieht sich jetzt offenbar endgültig darin bestätigt: Ein Arschloch sein – NUR DAS zahlt sich auf Dauer aus! Elon Musk, Trump & Co. sind die Imperatoren und Sith-Lords der neuen Zeit – und ich bin mit dabei! Wie geil!
Nur: Die Welt ist eben KEIN Videospiel. Ja, in endzeitigen Game-Szenarien mag es für eine Weile Spaß machen, mal so richtig die Wildsau rauszulassen. Sich als Super-Arschloch auszutoben, das ohne Reue unterdrückt und meuchelt, rücksichtslos Reichtum anhäuft und am Schluss als unangefochtener Ober-Kotzbrocken auf dem Thron sitzt. Aber in der Realität macht Endzeit verdammt wenig Spaß – denn die Chance, dass man zu den Opfern gehört, ist weitaus größer als die, einer der wenigen verbliebenen Gewinner zu sein. Und diese Gewinner teilen nicht – sie locken und verführen zwar mit der Verheißung von Reichtum … aber sie lösen dieses Versprechen niemals ein.
Aber auch das wird in der schönen, neuen Egoismus-Kultur natürlich geflissentlich ignoriert. Vielleicht deshalb, weil die moderne Anonymisierung der Kommunikation auch ihre zunehmende Vergrobschlächtigung mit sich gebracht hat. Weil man im digitalen Raum keine oder zumindest kaum Konsequenzen fürchten müssen, verlieren viele von uns nach dem Login bei FB, X, Insta & Co. offenbar sehr schnell ihre Empathie – also ihre Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Ein Talent, mit dem uns die Evolution nicht nur ausgestattet hat, um andere zu übervorteilen und in den Abgrund zu kicken – sondern vor allem, weil es die Stärkung des Sozial-Verbands mit sich bringt, ohne den wir auf Dauer nicht existieren können. Aber wozu überhaupt noch einen Sozial-Verband pflegen, wenn heute jeder der Gottkönig seiner eigenen Bubble sein kann? Warum überhaupt noch auf irgendwen Rücksicht nehmen und sich in andere hineinversetzen?
Mein Tipp: Nutzt doch die Möglichkeiten, die Euch die digitale Welt bietet, bitte nicht nur dafür, um Euch zu ignoranten Möchtegern-Götzen zu erheben – sondern nutzt sie, um Eure Empathie sogar noch weiter zu stärken! Zum Beispiel, indem ihr mithilfe eines Spiels einfach mal in die Stiefel eines Vertreters des anderen Geschlechts schlüpft! Im echten Leben geht das leider noch nicht auf Knopfdruck – hier schon. Und wenn Ihr den Griff zum PlayStation-Pad ausnahmsweise mal nicht als die Möglichkeit versteht, in die Macht-Fantasie zu schlüpfen, der ihr sowieso immer nachhängt, sondern vielmehr als Chance, eine neue Erfahrung zu machen – wenn Ihr es nur zulasst – vielleicht könnte das Euer Leben ja sogar bereichern?
Pen-and-Paper-Rollenspieler machen das übrigens schon seit Jahrzehnten regelmäßig – also für das Spiel in die Rolle des anderen Geschlechts schlüpfen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nur gaaaanz wenige Männer kenne, denen deshalb eine Vagina gewachsen ist.
Also: nur Mut! Denn nein – es fliegt Euch NICHT der Penis weg, wenn Ihr eine glatzköpfige Frau spielt! Das passiert nur, wenn Ihr zu viel Gluten esst!
(Robert Bannert)