Zum Schluss leider doch noch entgleist: Warum die finae Season der burtonesken Superhelden-Dramedy die ganze "Umbrella Academy" in den Abgrund steuert
SERIEN-KRITIK • Hattet Ihr schon mal das Gefühl, in der falschen Realität oder Zeitlinie gefangen zu sein? Und werdet von Erinnerungen an andere Leben geplagt? Dann seid Ihr
vielleicht ein Fall für die Sekte der "Hüter": Die wollen in der vierten und letzten Staffel von Netflix' schräger Superhelden-Serie "The Umbrella Academy" nämlich alle Zeitlinien crashen und
zusammenführen, bis nur noch eine, vermeintlich perfekte Realität übrig ist. Eine irre und vor allem lebensfeindliche Vision, für die das Chef-Pärchen Gene (Nick Offerman) und Jean (Offermans
Frau Megan Mullally) kein Mittel zu extrem ist.
Und zum Glück gibt es in dieser Zeitlinie keine "Umbrella Academy", die ihnen das Handwerk legen könnte. Denn nach drei Staffeln voller burtonesk angehauchtem Zeitreise-Chaos und klamaukigem bis
schwermütigem Weltuntergangs-Wahnwitz sind die Mitglieder der schrägen Patchwork-Familie der "Umbrella Academy" endlich am (vermeintlichen) Ziel: einem normalem Leben – ganz ohne Superkräfte.
Das ehemals unsterbliche Medium Klaus ist vom Junkie und Sektenführer zum cleanen Sicherheits-Fanatiker geworden, der bei Schwester Allison lebt. Die hat zwar mittlerweile weder ihre mystischen
Überzegungskräfte noch Ehemann noch Hollywood-Karriere, kann aber endlich in Ruhe ihre Tochter Claire großziehen. Derweil muss Luther ohne seine übermenschliche Stärke auskommen, sich als
Stripper durchschlagen und dafür sorgen, dass das gerade erst aus dem Gefängnis entlassene Ex-Tentakel-Monster Ben nicht wieder auf die schiefe Bahn gerät. Nummer 5, der ohne seine
Teleportations-Fähigkeit längst nicht mehr so gefährlich ist wie früher, stellt seine bei der Zeitreise-Kommission gesammelten Erfahrungen in den Dienst der CIA und der einst machtvolle Viktor
schmeißt jetzt ein Diner in Kanada. Und "Ich treffe mit allem immer jedes Ziel"-Superschütze Diego? Der ist mittlerweile Paketbote und kümmert sich zusammen mit Frau Lila (die früher die Kräfte
von anderen Helden imitieren konnte) um eine quirlige Großfamilie.
Als die Truppe aber bei einem Treffen wieder mit der Substanz in Berührung kommt, die ihnen die übernatürlichen Kräfte überhaupt erst bescherte, nimmt das für die Serie typische Chaos erneut
seinen Lauf: Mit alten wie neuen Fähigkeiten ausgestattet muss sich die Umbrella Academy erneut dem drohenden Weltuntergang stellen – und nicht nur die "Hüter" bremsen, sondern außerdem
herauskriegen, was ihr Ex-Adoptivvater Reginal Hargreeves und ein geheimnisvolles, alle Zeitlinien miteinander verbindendes U-Bahn-Netz damit zu tun haben.
Und ja, das ist alles ungefähr genauso gaga, wie es sich liest – und damit die perfekte Grundlage für die abschließende Staffel einer Superhelden-Serie, die vor allem deshalb so hervorragend funktionierte, weil keine Keilereien oder Kräfte-Meierei, sondern die Dynamik zwischen ihren kaputten Figuren im Mittelpunkt stand. Und Weltuntergangs-Szenarien, die eher persönlich als wirklich Welt-umspannend wirkten. Garniert mit einem ordentlichen Schuss Geheimnis-Krämerei, die neugierige Zuschauer bei der Stange hielt – denn natürlich verschleppte auch die "Umbrella Academy" ihre interessantesten Geheimnisse von einer Staffel zur nächsten.
Die gute Nachricht: Ja, die wichtigsten Rätsel der letzten drei Staffeln werden gelöst. Die schlechte: Es kommen jede Menge neue dazu, die man bis zum Ende der mit diesmal nur sechs Folgen viel
zu kurzen Season nicht alle beantwortet. Die nächste Hiobsbotschaft: Viele Antworten dürften nur den wenigsten Fans gefallen – genauso wie das Ende selber. Das passt zwar im Grunde hervorragend
zum Ton der Serie, die sich hier bis zur letzten Minute treu bleibt – aber wer viele dutzend Stunden in Konsum und Aufarbeitung eines Serien-Formats steckt, der möchte eben nicht in erster Linie
ein stimmiges, sondern vor allem ein "schönes" Ende. Er will, dass die lieb gewonnenen Figuren das Schicksal genießen, das man ihnen persönlich wünscht. Er will, das alle Helden ihre
Vater-Komplexe aufarbeiten, ihr Glück machen, ihre Wunschpartner bekommen, die Welt retten und auch weiterhin als grinsende Glücksbärchis durch unser Unterbewusstsein tanzen – immer bereit für
mehr Spaß, mehr Action und mehr schrägen Abfuck. Aber manchmal … naja … manchmal enden Dinge eben einfach.
Und weil sich Serien an dieser Stelle fundamental von Filmen unterscheiden (denn nach nur zwei bis drei Stunden sind wir eher dazu bereit, auch mal ein weniger schönes Ende zu akzeptieren),
reihen sich die Umbrellas bei denjenigen Serien-Formaten ein, die wir unbefriedigt abhaken. Weil sich diese letzte Staffel so anfühlt, als hätte Netflix seine Superhelden-Truppe nicht annähernd
so sehr geliebt wie wir – und ihnen nur das Skelett eines würdigen Schluss-Akts gegönnt. Vielleicht liegt das auch ein bisschen an unseren Erwartungen, die einfach zu hoch sind, wenn sich der
Vorhang nach so langer Zeit zum letzten Mal öffnet. Oder eben auch daran, dass es Künstlern und Publikum vielleicht wichtig ist, dass der letzte Auftritt richtig fetzt – der Intendant aber
ungeduldig auf die Uhr guckt, weil er die Bühne für die nächste Vorstellung frei kriegen will. Also springen die Darsteller gehetzt über die Bühne, hakt der Drehbuchautor so schnell wie möglich
einen Punkt nach dem anderen ab – und wenn der Vorhang fällt, dann fühlt sich das Publikum trotz einiger netter Auftritte und Bühnenbilder ziemlich mies, denn der unwürdige Schlussakt hat ihnen
auch die Erinnerung an den schönen ersten, zweiten und dritten Teilt kaputt gemacht.
Aber mittlerweile müssen wir ja schon froh sein, wenn man uns nicht schon kurz nach Beginn der Vorstellung wieder aus dem Theater kehrt. Diesen Auftritt hat Netflix wenigstens zu Ende gebracht.
Naja, irgendwie. (Robert Bannert)
Note: 6.5 (BEFRIEDIGEND)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend