Jeff Goldblum als Göttvervater Zeus, der den Olymp wie ein durchgeknallter Mafia-Boss führt – das kann nur ins Auge gehen! Mit ihrer Götter-Dramedy "Kaos" treffen Goldblum und Netflix ins Schwarze.
Serien-Kritik • Jeff Goldblum als Göttvervater Zeus, der den Olymp wie ein durchgeknallter Mafia-Boss führt. Cliff Curtis in der Rolle seines auf Luxus-Yachten vor Kreta
kreuzenden Bruders Poseidon. Und ein von David Thewlis gespielter Hades, der an der Seite seiner Frau Persephone (Rakie Ayola) die komplett in Schwarz/Weiß gehaltene Unterwelt-Behörde leitet.
Inzwischen spinnt Zeus' Schwester-Gattin Hera (Janet McTeer) wie gewohnt Intrigen, will Dionysos (Nabhaan Rizwan) dem Rocksänger Orpheus (Killian Scott) dabei helfen, dessen verstorbene Freundin
Eurydike (Aurora Perrineau) aus dem Hades zurückzuholen, hat Kretas rückgratloser Präsident Minos (Stanley Townsend) mit Familienproblemen zu kämpfen, will seine Tochter Ariadne den im Krieg
geschlagenen Trojanern helfen, leidet Cerberus-Führer Kaeneus (Misia Butler) unter Erinnerungen an sein sterbliches Leben und hofft der an einen Berg im Kaukasus gekettete Prometheus darauf, dass
ein vor langer Zeit geschmiedeter Plan zum Sturz des Götter-Paten endlich ins Rollen kommt …
Kurzum: So hat man die griechische Götterwelt noch nicht gesehen. Dabei sind moderne Interpretationen des Stoffes nichts Neues mehr – zum Beispiel dank Rick Riordan und seines "Percy
Jackson"-Universums, das ebenfalls einen Blick auf einen sehr modernen Olymp wirft. Mit all seinen Göttern, hippen Teenage-Halbgöttern, Helden und Schlachten. Allerdings gibt es ein paar
wesentliche Unterschiede zwischen dem "Percy Jackson" und dem "Kaos"-Universum. Wo der im Kielwasser des "Harry Potter"-Erfolgs gestartete"Percy Jackson" aus gutem Grund von Disney als Serie
umgesetzt wurde, ist Netflix' "Kaos" von Showrunner Charlie Covell ("End of the F***ing World") kompromisslos brutal: seine Götter sind skrupellose Mörder, die Menschen ebenso willkürlich wie
grausam töten – ohne Respekt vor dem Leben … außer ihrem eigenen natürlich. Weiterhin erzählt "Kaos" anders als "Percy Jackson" keine neuen Geschichten rund um die Olympier – nein, es sind die
bekannten Mythen im modernen Gewand. Ganz so, als hätte es das Altertum entweder nie gegeben ODER als wären wir eben doch im antiken Griechenland – aber mit den Annehmlichkeiten der Zivilisation
von heute. Natürlich kommt dieses Szenario nicht ohne einige logische Ecken und Kanten: Weil es uns zum Beispiel verschweigt, was mit dem Rest der Welt ist – und ob die griechischen Götter hier
ebenfalls Einfluss haben oder ob jede irdische "Sphäre" unter ihrem eigenen Pantheon aus himmlischen Kotzkrücken zu leiden hat.
Die meiste Zeit über funktioniert die Annahme hinter Covells Sagen- und Mythen-Interpretation aber erstaunlich gut und zeigt uns souverän, dass die alten Geschichten völlig unabhängig von der Zeit funktionieren, in der sie spielen. Kein Wunder: Immerhin arbeiten sich Autoren bis heute an Interpretationen der Mono-Mythen ab, die in dieser Zeit entstanden sind. So betrachtet ist "Kaos" nicht nur Adaption der griechischen Götter- und Sagenwelt, sondern eine Show um das Erzählen an sich. Und über universelle Themen wie Leben, Liebe, Tod, Trauer und die Angst vorm Altern, die sogar Götter überkommt. Und natürlich die Mächte des Schicksals, die hier in Form der transsexuellen bzw. gender-fluiden Nachtlub-BesitzerInnen Atropos (Sam Buttery), Lachesis (Suzy Eddie Izzard) und Clotho (Ché) in Erscheinung treten und beim panisch den Spuren einer Prophezeiung hinterher jagenden Zeus für ordentlich Kopfzerbrechen sorgen. Bis zu dem Punkt, an dem "Kaos" mit Enthüllungen und Ideen überrascht, die dann eben doch gehörig von den bekannten Erzählungen um die olympischen Ekel und ihre menschlichen Opfer abweichen – allerdings ohne die klassischen Motive hinter den Geschichten zu verändern. Und all das funktioniert nicht nur deshalb unglaublich gut, weil Jeff Goldblum einen so brillant fahrigen Widerling abgibt und auch der restliche Cast die vielen, fiesen Nuancen der Geschichte so wunderbar einfängt, sondern weil das ganze Format vom Verständnis des Showrunners für die Vorlage getragen wird. Nie verkrampft, sondern leicht, beschwingt, ironisch und fast immer treffsicher vorgetragen. Da erscheint die nahezu vollständige Abstinenz von Effekt-Gewitter eher wie eine Erholung denn ein Verlust – in diesem wahrhaft göttlich-mafiösen Kammerspiel. (rb)
Note: 9.0 (SEHR GUT)
UPDATE: Leider hatten die Götter nur ein kurzes Gastspiel auf Netflix – einer zweiten Staffel hat die Plattform eine Absage erteilt. Wir finden das: SCHEISSE.
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend