Bullig, prächtig und prächtig bullig: "Space Marine 2" ist die schönste Baller-Bude seit Langem – doch abgesehen von den prall aufgepumpten Marine-Muckis ist Sabers Tyraniden-Schlachtplatte selbst für einen Action-Titel erschreckend … platt.
SPIELE-KRITIK • Als ich vor über 30 Jahren von den Pen-and-Paper-Rollenspielen einen Ausflug in die Tabletop-Domäne von Games Workshop gewagt habe, da waren es vor allem die auf faszinierende Weise grotesk-bestialischen Artworks, das eskapistische World-Building und die prachtvollen mit wundervollen, winzigen Details gespickten Figuren, die mich angelockt haben. Beim Bemalen der Kerlchen habe ich mich übrigens überraschend geschickt angestellt – ganz im Gegensatz zum Handling meiner bepinselten Armeen auf dem Modell- und Maßband-Schlachtfeld, denn mit der Taktik habe ich's nicht so. Da würde mich selbst ein durchschnittlich begabtes Meerschweinchen in wenigen Minuten ausmanövrieren.
Das und der Umstand, dass mir für das Bemalen von riesigen Tisch-Armeen zwischen Rollenspiel- und Videospiel-Hobby nur noch wenig Zeit blieb (Denn mit unbemalten Armeen spielt man nicht – das
gehört sich einfach nicht!), hat nach gerade mal einem Jahr dazu geführt, dass ich die Uniform des Tabletop-Generals schon wieder eingemottet habe. Zusammen mit meinen Tyraniden- und
Space-Marine-Horden, die bis heute auf dem Dachboden meiner Mutter verstauben und traurig auf einen nächsten Einsatz hoffen, der niemals kommt. Vielleicht siedle ich sie während der kommenden
Jahren ja mal in eine Vitrine um – das wäre ein wenigstens einigermaßen angemessener Ruhestand. Außerdem könnten sie mir dann dabei zusehen, wie ich ihre Kollegen in "Space Marine 2" von Saber
Interactive und Focus Entertainment mit Flammenwerfer und Plasma-Knarre in Action-Stellung bringe, um gigantische Schwärme aus wuselnden, wabernden, geifernden Tyraniden-Schwärmen abzuwehren. Das
ist vermutlich die einzige Art, auf die ich in diesem Leben noch gegen Games-Workshop-Gruselgestalten kämpfen werde. Weil es weit weniger Zeit-intensiv ist und Saber Interactive die Aspekte der
Vorlage, die ich früher schon besonders geschätzt habe, besonders imposant in die digitale Daddel-Sphäre transportiert – denn die eigentlichen Stars des Spiels, das sind die gigantischen Schwärme
des Tyraniden-Kollektivs, die sich hier in ganzen Wellen durch die Kulissen ergießen. Kulissen, die GWs Vision von einer Art futuristischem Neo-Gotik-Gigantismus zum Leben erwecken. Weil der
Kampf der Menschheit gegen dämonische Mächte aus den Tiefen des Alls zum Erstarken konservativer, religiöser und imperialistischer Strömungen geführt hat. Das Ergebnis ist eine Welt, die so
aussieht, als hätte man das finstere Mittelalter mit den Möglichkeiten moderner Hochtechnologie neu erbaut und sie anschließend in einen skurrilen, sakral anmutenden Techno-Kult überführt.
Allerdings kommt Sabers eindrückliche Inszenierung dieser düsteren Kulisse mit einem für mich überraschenden Effekt: Früher, als ich diese skurrile Welt nur durch Texte, teils stark abstrahierte Artworks und Miniaturen kannte, realisierte ich noch nicht ganz, was diese Vision für die in ihr lebenden Menschen bedeuten würde – denn die größte Bedrohung ihrer Leben geht weder von marodierenden Orks noch von hungrigen Tyraniden oder Chaos-Dämonen aus … sondern von ihrer eigenen Regierung, die sie in Form eines keinen Widerspruch duldenden, repressiven Militär- und Folter-Apparats unterdrückt. In den 80ern und 90ern beeindruckten mich die schieren Dimensionen dieses Szenarios – heute finde ich es zwar nach wie vor bildnerisch interessant, aber erzählerisch auf fast schon perverse Art und Weise dämlich. Und da macht das Spiel keine Ausnahme: Die Geschichte um unseren Helden Tidus und seine Space-Marine-Kollegen – einer Art Bruderschaft aus genetisch aufgemotzten, riesenhaften Supersoldaten, die nach den religiösen Regeln eines Gott-gleichen Imperators in den Kampf ziehen – glorifiziert die in Wahrheit zutiefst unmenschliche Maschinerie des Imperiums zwar nicht nur, aber für meinen Geschmack noch immer viel zu deutlich. Klar, eine ordentliche Überdosis Selbstironie, wie man sie von Verhoevens "Starship Troopers" kennt, würde nicht zum ernsten Ton des "40K"-Universums passen – aber vielleicht ist es ja genau das, was das gesamte Szenario auf mich inzwischen ziemlich überholt wirken lässt.
Selbst das gerade in Bezug auf seine Ästhetik stark verwandte "Gears of Wars"-Drumherum bemüht sich zumindest hin und wieder um eine Prise Eigen-System-Kritik, indem es seine Helden rebellisch werden und gegen den zunehmend faschistisch werdenden Staats-Apparat aufbegehren lässt. Ein bisschen mehr Individualismus und Rebellion hätten dem "40K"-Universum sicher nicht geschadet – so aber ist es vor allem eine ästhetisch interessante Kulisse, die man thematisch aus kritischer Distanz betrachten sollte und die für mich nicht in die Griffel von Heranwachsenden gehört. Bei denen richtet das fachgerechte Tyraniden-Tranchieren per Kettensägenschwert vermutlich weit weniger Schaden an als die problematische, von faschistischen Denkmodellen durchsetzte Mythologie des "40K"-Universums, das sich für meinen Geschmack zu sehr der Gigantismus-Glorifizierung, aber viel zu wenig den Menschen und ihren Einzelschicksalen widmet. Och, sind gerade mal wieder 100.000 Menschlein bei einem Gemetzel drauf gegangen? Naja, passt schon – Ehre dem Imperator, Brüder!"
Klar, natürlich könnte man es sich auch bequem machen und das Szenario als alptraumhafte, futuristisch verzerrte Comic-Abstraktion der Gotik und entsprechend überzeichneter Helden- sowie
Feindbilder abtun. Edle Ritter, die gegen Dämonen kämpfen und dabei durch das Blut ihrer infernalen Feinde stapfen, blabla. Wer das für sich entsprechend einordnen will und darüber einen
gebührenden Abstand zu dem wahren kann, was die Materie in Wahrheit bedeutet, wenn man sie mit all ihren unweigerlichen Folgen konsequent weiterspinnt – ja, DER kann hier andächtig staunend durch
gigantische High-Tech-Döme und Kathedralen wandern, während er … naja … durch das Blut seiner Feinde watet. Und von denen gibt's reichlich – und keiner von ihnen leidet unter Blutarmut oder
Schüchternheit, wenn es darum geht, sich blindlings ins Mündungsfeuer oder in die Klinge unseres Avatars und seiner KI- oder wahlweise Spieler-gesteuerten Begleiter zu stürzen. Und wenn es darum
geht, die Tyraniden zu zersäbeln, in Fetzen zu ballern, unter unseren Stahlsohlen zu zermatschen oder ihnen ihre eigenen spitzen Extremitäten auszureißen, um sie anschließend damit zu erdolchen –
dann sind Held Titus & Co. ähnlich erbarmungslos wie ihre Feinde. In Deckung zu hechten – das versteht sich nicht mit dem Kodex der Space-Paladine – man stapft mit dicken Sprüchen auf den
Lippen mitten ins Feindes-Getümmel, wo man dann entweder triumphiert oder … naja … ehrenhaft draufgeht. Darum ist ein "Space Marine 2" auch deutlich weniger taktisch oder abwechslungsreich als
ein "Gears of War" und sind seine Schauplätze eine (zugegebenermaßen verdammt hübsche) Fassade und glänzen fast durchweg durch die Abstinenz erwähnenswerten Level-Designs. Was in Kombination mit
chronischer Abwechslungsarmut beim Gegner-Aufgebot zumindest bei mir sehr schnell für Ermüdungserscheinungen gesorgt hat. Zwischendurch für ein, zwei Stunden vor den imposanten Kulissen Dampf
ablassen – dafür eignet sich das prachtvoll präsentierte, zweite "Space Marine" hervorragend – aber für mehr auch nicht. Schade.
Unter dem Strich ist es also doch eher unwahrscheinlich, dass mir meine verwaisten "40K"-Figuren in einigen Jahren beim "Space Marine 2"-Spielen zusehen dürfen – denn bis dahin dürfte ich diese Spielerfahrung fast vergessen haben. Aber vielleicht macht's ein potentieller dritter Teil ja besser. Und zugegeben: Vor 30 Jahren hätte ich für diese Art von "40K"-Spiel getötet. Vorzugsweise Orks. Die habe ich hier übrigens extrem vermisst. (Robert Bannert)
Note: 6.5 (BEFRIEDIGEND)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend