Serien-Kritik: Wednesday


 

Netflix und Tim Burton extrahieren das chronisch schlecht gelaunte Gothic-Girl aus dem "Addams Family"-Kosmos und verfrachten sie einen potteristischen Internats-Kosmos. Kann das funktionieren?

 

Serie • STRECKBANKFOLTER ist für sie eine wohltuende Massage, einen Strauß verdorrter Blumen verstehen sie als romantische Geste, lebendig begraben zu werden als Entspannung, das Geschrei gemarterter Seelen als süße Melodie und geschwisterliche Zuneigung bringen sie am liebsten zum Ausdruck, indem sie den anderen jagen, quälen und an die Schwelle des Todes bringen: nach gutbürgerlichen Gesichtspunkten sind Mitglieder der „Addams Family“ ziemliche Fieslinge – und gruftgerecht gestylte, Gammelfleisch-gewordene Psycho-Ausgeburten des Gegenteil-Gedächtnis-Tags. Sie sind ein bisschen sado-maso, ein wenig monströs und auch ein ganz kleines bisschen verhext – aber vor allem sind sie eins … nämlich garantiert politisch inkorrekt. Kein Wunder, bringt sie ihr geistiger Vater und Namens-Pate – der Comic-Zeichner Charles Addams – doch zunächst als gezielten Gegenentwurf zur biederen US-Vorstadt-Familie der 20er- und 30er-Jahre in die Papierwelt. Erst Anfang der 60er verwandelt die Traumfabrik die erfolgreichen Cartoons in ein etwas weniger bissiges Fernseh-Format, in dem die Grenzen zwischen infernalischer Bösartigkeit und Publikums-konformer Knuffigkeit immer mehr verschwimmen.

Ziemlich genau zur selben Zeit startet Universal übrigens seine auf ein ähnliches Zielpublikum ausgerichteten „Munsters“ – ein ghulischer Klamauk, in dem bekannte Universal-Kreaturen wie Frankensteins Monster und der Dracula-Clan eine schrullige Vorstadt-Familie gründen. Bei ihrer Erstausstrahlung treffen allerdings beide Serien – „Addams Family“ und „Munsters“ – auf nur wenig Gegenliebe. Erst im Verlauf ihrer zahlreichen Wiederholungen während der 70er-Jahre werden die Formate Kult.

Klar, dass da Neuauflagen nur eine Frage der Zeit sind: Während sich Herman, Lily, Eddie & Co. Ende der 80er mit leider nur bescheidenem Erfolg durch eine neue TV-Serie munstern, werden die Addams vom späteren „Men in Black“-Macher Barry Sonnenfeld aus der Klamotten-Kiste gekramt. Der Plan: Die launigen Schwarz-Weiß-Geschichten von einst in einen gruftigen Leinwand-Schwank à la Tim Burton verwandeln. Immerhin hat der kurz zuvor bewiesen, dass man mit seichten Horror-Komödien wie „Beetlejuice“ oder Johnny Depp als dem frankenstein’schen „Edward mit den Scherenhänden“ gutes Geld verdienen kann. Denn sie treffen zielgerichtet den Nerv der immer stärker vibenden Dark-Wave und Gothic-Subkultur.

Für die beiden Kinoauftritte der „Addams“ legt man die Figuren etwas morbider an, betont in kurzen Gags immer wieder ihren ausgeprägten Hang zu Sadismus bzw. Masochismus und spendiert der Familie außerdem so etwas wie eine eigene Mythologie. Gerade ausführlich genug, um die Fantasie des Zuschauers zu beflügeln … aber nie so konkret, dass sie das ohnehin schon wackelige Logik-Fundament der zum reinen, rabenschwarzen Satire-Selbstzweck existierenden Gruft-Gruppe auf die Probe stellen würde. Die deutlichste Änderung gegenüber dem Ausgangsmaterial betrifft die Sprösslinge der Vampir-ähnlichen Morticia (Anjelica Huston) und ihres reichen Ehemanns Gomez (Raúl Juliá): Aus der ursprünglich schüchternen und gutherzigen Wednesday (Christina Ricci) wird eine Empathie-befreite, teuflische Kreatur mit dem Genie einer Insel-begabten Foltermagd, die es sich zum Lebenszweck gemacht hat, ihren dümmlichen Bruder Pugsley (Jimmy Workman) zu entleiben.

Eine Rolle, die Tim Burton und Netflix offenbar so inspiriert hat, das man sie jetzt kurzerhand in eine eigene Serie verwandelt: Anstatt gleich den ganzen Addams-Clan zu rebooten, pickt man sich das Familienmitglied heraus, von dem man vermutlich glaubt, das es sich am ehesten als Identifikationsfigur für junge Zuschauerinnen mit zumindest dezenter Gothic-Schlagseite eignet. So wird Wednesday (mittlerweile im reiferen und Flirt-tauglichen Teenage-Alter) zum Star einer infernalen Version des „Winx Club“ – eines potteristischen, übernatürlichen High-School-High-Abenteuers, in dem statt Feen nun Werwölfe, Medusen und andere Monster durch die Korridore einer weniger detallierten Version von Hogwarts streifen. In der Serie sind die Gruselwesen allerdings alle furchtbar darum bemüht, den menschlichen Anschein zu wahren: Das Schlangenhaar wird unter Mützen versteckt, Meerjungfrauen wächst nur unterhalb der Wasseroberfläche ein schuppiger Schwanz und Werwölfe verwandeln sich alleine dann in zähnefletschende, zottelhaarige Monster (mit niedlichem rosa Haarschopf), wenn das Skript etwas Besonderes mit ihnen im Sinn hat – wie praktisch und obendrein Budget-schonend. Denn dafür, dass sich die Schüler der „Nevermore Academy“ sogar selber als „Sonderlinge“ bezeichnen, ergeben sich die meisten von ihnen in fast schon aggressiv hipper Konformität – ausgenommen Wednesday natürlich, die zwar als einzige Schülerin kein echtes Monster ist, sich aber alle Mühe gibt, eines zu sein. Adrett als niedliches Gothic-Girl kostümiert – und damit am Ende doch Teil einer uniformierten Gruppe oder Subkultur, die ihren Identifikationsschlüssel in einer Art angepassten Unangepasstheit findet (und das schreibt der Autor dieses Beitrags wohlgemerkt als Teil dieser Subkultur).

Hätten Burton & Co. die Handlung ihrer gammeligen High-School-Klamotte etwas geschickter und mit weniger Augenmerk auf den Look cooler Teenager konstruiert, hätte „Wednesday“ aus ihrem eigentlich widersinnigen Szenario sogar Kraft beziehen können. Die Kraft zu einem vielschichtigen Plot, der mit Themen wie Ausgrenzung und den Spannungsfeldern spielt, die sich beim Kampf zwischen inneren bzw. äußeren Dämonen ergeben. Tatsächlich bietet die Rahmenhandlung dafür genug Steilvorlagen – immerhin geht es um die Vorfahren der Addams-Family, ein geheimnisvolles Monster im Wald, und den Kampf gegen einen grimmigen Hexenjäger, der nach Jahrhunderten wieder von den Toten auferstehen möchte, um den verhassten „Sonderlingen“ doch noch den Gar aus zu machen.

Stattdessen aber verliert sich die erste „Wednesday“-Staffel viel zu oft in altbekannten Plattwitzen um die verdrehte Polung des Addams-Clans und stolpert durch die eigenartigen Verwirrungen eines seichten Kriminal-Plots. Eines Plots, der ungefähr genauso viel Sinn macht wie die fragwürdige Idee, die schräge Anti-Sippschaft, die früher mal ersonnen wurde, um gesellschaftliche Stereotypen auf den Kopf zu stellen, zum Teil eines übernatürlichen High-Society-Regelwerks zu machen. Einer High Society, in der man die verwöhnte Monster-Teenage-Brut mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf eine elaborierte Kaderschmiede schickt wie unsere echte „bessere Gesellschaft“. Die Moral der verdrehten Geschicht: Anders sein – das muss man sich erstmal leisten können.

Damit passen die neuen Addams natürlich ganz hervorragend ins TV-Zeitalter der Streaming-Plattformen, in dem es vor allem darum geht, das nimmersatte Content-Monster mit neuen Formaten zu füttern. Und zwar solchen, die sich nicht nur vorzugsweise aus prominenten Namen und bekannten, leicht verdaulichen Handlungs-Rezepten zusammensetzen, sondern die außerdem mit der Langsamkeit einer Kriech-behinderten Schnecke ins Ziel glibbern. So lässt sich auch „Wednesday“ für jeden Hauch von Charakter-Entwicklung und jeden noch so kleinen Story-Fortschritt reichlich Zeit – und fragt man sich am Ende der ersten Staffel, wieso eigentlich schon nach dem Vorspann der Vorhang fällt. Und warum in jedem der beiden kurzen „Addams Family“-Filme zumindest gefühlt deutlich mehr passiert ist. Vielleicht deshalb, weil der Entertainment-Vertrag zwischen Zuschauer und Traumfabrik Anfang der 90er noch ein fundamental anderer ist als während der Streaming-Epoche. Vielleicht aber auch, weil der in dieser Zeit noch junge Barry Sonnenfeld ein besserer Tim Burton ist als Burton heute. Oder die Besetzung aus Anjelica Huston und Raúl Juliá als Morticia bzw. Gomez Addams so dermaßen ikonisch ist, dass Catherina Zeta Jones und Luis Guzmán als sich innig abschleckendes Grufti-Paar von vornherein keine Chance haben – auch wenn sie eigentlich einen ziemlich guten Job dabei machen. Und es sich als recht schlaues Manöver entpuppt, die Addams-Eltern in „Wednesday“ nicht nur selten in Erscheinung treten zu lassen, sondern sie obendrein dramatisch anders anzulegen als ihr unvergessliches Leinwand-Pendant von einst.

Stattdessen lässt man eine überraschend starke Jenna Ortega in der Titelrolle brillieren, wo sie zwar vor allem den Zweck erfüllt, die mit ihrer Figur einhergehenden Klischees abzuhaken, dabei aber so sympathisch und souverän spielt, dass man dem Format „Wednesday“ gerne so einigen Blödsinn durchgehen lässt. Wie z.B. den Umstand, dass sich eine Schule voller Werwölfe, Vampire und anderer brandgefährlicher Bestien von einem einzigen, durch den Wald streifenden Monster terrorisieren lässt. Oder den, dass eine Gestalt-wandelnde Direktorin (mit Gwendoline Christie großartig besetzt) erst den Schubs einer verzogenen Teenagerin braucht, um ihre Fähigkeiten dafür einzusetzen, den Intrigen und Geheimnissen an ihrer Penne auf den Grund zu gehen. Und dann wäre da natürlich die bohrende Frage, warum die menschlichen Bewohner der nahen Ortschaft manchmal zu wissen scheinen, dass es sich bei „Nevermore“ um eine Lehranstalt des Übernatürlichen handelt, um dann im nächsten Moment doch wieder davon überrascht zu werden – oder umgekehrt.

Kurzum: „Wednesday“ ist von der grundlegenden Idee bis hin zur narrativen Ausführung hochgradig inkonsistent – allerdings ist Burtons Netflix-Einstand auch so hochkarätig inszeniert und von einer derart unheilig heimeligen Charakter-Chemie beseelt, das man nicht umhin kommt, sich diesen Kadaver von einer Serie, der eigentlich auf den Friedhof für bereits im erzählerischen Ansatz gescheiterte Formate gehört, bis zur letzten Folge durch zu suchten. Aller Defizite zum Trotz. Und aus den gleichen Gründen zu mögen, aus denen man in den 90ern bereits Serien-Sondermüll wie „Buffy“, „Angel“ oder „Charmed“ liebevoll verfolgte. Mit einem blinden (bzw. bewusst geschlossenen) und einem vor Freude oder Tränen glänzenden Auge.

Man kann Tim Burton sicher vorwerfen, dass er auch mit „Wednesday“ nicht zu seiner alten Form oder Handschrift zurückgekehrt ist, aber ein (eiskaltes) Händchen für Figuren- und Darsteller-Chemie hat er nach wie vor: Ein ähnlich niedliches und tragfähiges Serien-Duo wie die (wannabe-)düstere Wednesday und ihre chronisch gut gelaunte, knallbunte Werwolfs-Mitbewohnerin Enid (Emma Myers – fantastisch!) findet man selten. Bleibt nur zu hoffen, dass man sie in den kommenden Staffeln eine stärkere Erzählung erleben lässt. Sonst muss ich mir das zugekniffene Auge doch noch zu-tapen. Oder wie Wednesday vermutlich sagen würde: es mir genussvoll mit dem Eispickel ausstechen.

 

(Robert Bannert)