Sehnlichst erwartet, mehrfach verschoben, bereits vor dem Release heiß diskutiert und am liebsten der krönende Abschluss der PS4-Ära: Naughty Dogs Endzeit-Reise "The Last of Us, Part 2" führt Teenage-Heldin Ellie ins von Infizierten, Sekten und Paramilitärs belagerte Seattle. Inszenatorisch setzt das Adventure Maßstäbe – aber wie sieht es spielerisch aus?
KRITIK • PS4 • Als Sony Juni 2013 auf der PS3 das erste "The Last of Us" veröffentlicht, wird das Endzeit-Adventure zum Symbol für Sonys Exklusiv-Titel-Engagement und dadurch zum
Wegbereiter für den PS4-Erfolg wenige Monate später. Das verantwortliche Studio Naughty Dog hatte bisher mit vergleichsweise quirligen und lauten Spielen wie "Uncharted" oder "Jak & Daxter"
punkten können - bei the "The Last of Us" stellt man Action- und Schleich-Sequenzen zum ersten Mal eine anspruchsvolle Erzählung zur Seite: Die meiste Zeit über schlüpft der Spieler in die Rolle
des grummeligen Texaners Joel, um die 14-jährige Ellie durch eine von Pilz-Zombies, irrsinnigen Kannibalen und paramilitärischen Gruppen bevölkerte Endzeit zu geleiten. Ziel der Reise: Das
Hauptquartier der vermeintlichen Freiheitskämpfer-Bewegung "Fireflies". Weil Ellie gegen die Pilzsporen immun ist, die Menschen in willenlose Fressmaschinen verwandeln, soll sie als Vorlage für
die Herstellung eines Impfstoffes herhalten.
Der Haken an der Sache: Ellie würde den Vorgang nicht überleben. Weil Joel während des hunderte Kilometer langen Survival-Trips für das Teeanger-Mädchen aber väterliche Gefühle entwickelt hat,
startet er eine brutale Rettungsaktion, die das Ende der Fireflies und ihrer Impfstoff-Forschung bedeutet. Damit findet "The Last of Us" eine polarisierende Antwort auf ein moralisches Dilemma:
Ist es richtig, zur Rettung vieler einen Einzelnen zu opfern? Und ist eine Gesellschaft aus ethischer Perspektive überhaupt überlebenswert, wenn sie das Leben der Mehrheit kühl und berechnend
über das Schicksal des Individuums stellt?
In "The Last of Us 2" findet der Spieler die beiden Protagonisten zunächst in einer deutlich entspannteren Lage wieder: Joel und Ellie leben seit fünf Jahren in der Kleinstadt Jackson. Hier haben
sich mehrere hundert Überlebende zusammengetan, um im Schutze eines hohen Holzwalls etwas aufzubauen, das der Alltags-Normalität ähnelt, die man vor dem Ausbruch der Pilz-Pandemie hatte.
Inklusive diverser Annehmlichkeiten wie fließendem Wasser, (Generator-betriebenem) Strom, Straßenbeleuchtung, gemütlichen DVD-Abenden, PlayStation-3-Zock und kreativer Betätigung wie Schnitzerei
oder Gitarren-Geklimper.
Joel geht trotz seines fortgeschrittenen Alters (Mitte 50) nach wie vor auf Anti-Zombie-Patrouille, und die 19-jährige Ellie hat inzwischen reges Interesse an ihrer Altersgenossin Dina entwickelt
- ein Umstand, der schon nach dem ersten Ankündigungs-Trailer in vielen Online-Communities für grenzwertige Diskussionen gesorgt hat.
Zwischen den beiden Hauptcharakteren selbst herrscht indes Eiszeit: Seit dem Ende von Joels und Ellies erstem großen Abenteuer stehen nämlich einige Fragen im Raum - denn Ellie weiß nicht, dass
Joel für ihr Leben die Zukunft der Menschheit aufs Spiel gesetzt hat. Aus diesem Spannungsfeld spinnen Entwickler Naughty Dog und Chef-Autor Neil Druckmann die Fortsetzung einer Geschichte, die
man eigentlich schon souverän zu Ende erzählt hatte: So verwundert es auch kaum, dass der schnell zum gnadenlosen Rachefeldzug avancierende Plot stellenweise etwas konstruiert und künstlich
gestreckt wirkt - ungefähr so, als wüsste die Entwickler manchmal selber nicht so recht, womit sie das Spieler-Interesse noch aufrechterhalten sollen, während man damit beschäftigt ist, Ellie
nebst diverser Computer-Sidekicks durch eine von Ressourcen-Suche und Action-Schlachten geprägte Endzeit-Odyssee zu lotsen. Hier wäre weniger of mehr gewesen: Hätte man das Abenteuer auf knackige
20 Stunden beschränkt und darauf verzichtet, die Figuren immer wieder auf repetitive, künstlich aufgeblähte Missionen zu entsenden, würde das zweite "Last of Us" eine wesentlich bessere Figur
abgeben. Denn die Geschichte und ihre Figuren haben das Potential zum Klassiker – vor allem mit dem geschickten Vertauschen der Opfer-Täter-Rolle im letzten Spieldrittel schafft Naughty Dogs
postapokalyptischer Koloss einen Spagat, der den wenigsten Geschichten gelingt. Die auf den ersten Blick platte Rache-Story fällt durch diesen Kunstgriff überraschend differenziert aus – hat
aber gleichzeitig zur Folge, dass man dem ohnehin schon erschöpften Spieler noch mal mehr vom Gleichen zumutet. Wir hatten deshalb während der letzten zehn Stunden – trotz der sich immer
schneller und packender drehenden Story – mit massiven Ermüdungserscheinungen zu kämpfen.
Denn obwohl die neuen und umfangreichen Spiel-Terrains spürbar mehr Bewegungsfreiheit bieten als der Vorgänger, ist "The Last of Us 2" noch immer imm selben, betagt wirkenden Bewegungs-Korsett
gefangen: Türen lassen sich nicht durchqueren, weil sie von Pappkartons oder Tischen blockiert werden, die selbst ein Zehnjähriger zur Seite schaffen könnte. Niedrige Böschungen erweisen sich als
unüberwindbar, obwohl Ellie an anderer Stelle wesentlich schwerere und höhere Hindernisse mit Leichtigkeit bezwingt. Das ist eine Game-Design-Logik, die 2020 reichlich verstaubt wirkt - zumal
Sony es mit Spielen wie "Days Gone" oder "Horizon: Zero Dawn" zuletzt vorgemacht hat, dass man es auch beweglicher hinkriegt.
Im Gegenzug sieht das zweite "Last of Us" fast schon unverschämt gut aus und setzt – ebenso wie sein Vorgänger vor sieben Jahren – eine wichtige Grafik-Marke auf dem Weg zum spielbaren
Action-Kino. Ob Endzeit-Paradies mit von Schlingpflanzen überwucherten Wolkenkratzern, stürmisches Schneegestöber oder filmische Nahaufnahme von gefühlvoll aufspielenden Polygon-Akteuren: Bei
Technik und Art-Direction ist Naughty Dog ein so krönender Abschluss der PS4-Ära gelungen, dass man es kaum erwarten kann, die ersten PS5-Projekte des Studios zu sehen. Wer einmal durch das
verwitterte, von reißenden Flüssen und Hochhaus-Wasserfällen durchzogene Seattle reist, der möchte dort am liebsten sein Lager aufschlagen – wären da nicht all die Monstrositäten und
streitlustigen Wahnsinnigen, die das Ruinen-Idyll in einen Action-Hexenkessel verwandeln.
Durchgedrehte Sektierer duellieren sich mit Paramilitärs, während in Kellern, dunklen Räumen und der Kanalisation die Zombie-ähnlichen Infizierten lauern: Die fallen wie schon im ersten Teil mit
Heißhunger über die Gesunden herum, werfen mit Sporen-verseuchten Fleischbrocken um sich oder lösen sich ohne Vorwarnung aus den Pilzwucherungen ihres Nests – Vorsicht, Herzkasper-Gefahr!
Glücklicherweise sind die meisten Monstermodelle blind wie Maulwürfe und lassen sich deshalb oft ausmanövrieren. Das erfordert allerdings einiges an Geduld und wird trotz diverser taktischer
Winkelzüge schnell repetitiv.
Unsere Lösung: Den Schwierigkeitsgrad runterregeln, zum Angriff übergehen und die auf Dauer ermüdenden Zombie-Begegnungen dadurch gnädig abkürzen. Auf diese Weise erspart man sich obendrein ein
Großteil der zähen Ressourcen-Sucherei, die das neue "The Last of Us" leider nicht so motivierend hinbekommt wie Open-World-Spiele mit ähnlicher Survival-Komponente.
So darf die grimmige Teenage-Heldin zwar Waffen wie Pistole, Schrotflinte oder Bogen aufmöbeln und gesammelte Pillen in verbesserte Fähigkeiten umwandeln. Nur leider bietet die geradlinige
Spielwelt so wenig Bewegungsspielraum, dass man mit Ellies Verbesserungen nicht genug experimentieren kann. Dadurch fühlen sich Upgrades und Ressourcen-Management oft überflüssig an – und geht
man rasch dazu über, das Abenteuer ohne großartige Erkundigungen zu spielen, damit man umso schneller die nächste Handlungssequenz zu sehen bekommt. Denn an dieser Stelle spielt Naughty Dog
einmal mehr seine größte Stärke aus: die Fähigkeit, tolle Charaktere und große Gefühle vor wunderschöner Tristesse zu inszenieren.
Wer die spielerischen Defizite und erzählerischen Längen des Endzeit-Epos verwinden kann, bekommt deshalb auch mit dem zweiten "The Last of Us" spektakulär aufgezogenes Interaktiv-Kino
präsentiert – auch wenn es leider keinen ganz so bleibenden Eindruck hinterlässt wie sein Vorgänger vor sieben Jahren. Oder wie Wer sich von einer verspielten Postapokalypse aber in erster
Linie Bewegungsfreiheit und kreative Zombie-Duelle wünscht, der hält sich vermutlich besser an das ebenfalls PS4-exklusive "Days Gone".
Außerdem sollte man eine hohe Toleranz für Bildschirm-Brutalitäten mitbringen: Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse wirkt die deftige Gewaltdarstellung in "The Last of Us 2" zuweilen
geschmacklos und erschöpfend. Auch wenn die Entwickler dadurch vor allem das gnadenlose Survival-Feeling und die Bedrohlichkeit ihres Szenarios vermitteln möchten: Röchelnde Opfer mit
durchgeschnittener Kehle und winselnde, zerstückelte, sich im Matsch vor Schmerz windende Opfer hinterlassen aktuell einen noch faderen Beigeschmack als sonst. Auch wenn Naughty Dog 2016 noch
nicht wissen konnte, womit man sich vier Jahre später vor allem im eigenen Land konfrontiert sehen würde. Durch den weiter oben angedeuteten Story-Dreh im letzten Spieldrittel erscheint die
überbordende Gewalt zwar nicht mehr ganz so unreflektiert und sinnlos, aber grenzwertig ist sie trotzdem.
Note: 8.0 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend
Meinung (Robert Bannert):
Wow, mit der Wertung habe ich mal so richtig schwer getan. Inzwischen sind sämtliche Finger- und Zehennägel abgeknabbert, Bleistifte durchgekaut und Tischkanten angefressen. Und jetzt ist mir
ein bisschen schlecht…
Auf der einen Seite fasziniert das zweite "The Last of Us" mit einer zutiefst emotionalen Story, einer unfassbar druckvollen Inszenierung, atemberaubenden Kulissen und einem kunstvollen
Story-Dreh, der sogar das Meer aus Blut, durch das Ellie & Co. hier regelmäßig waten, zumindest annähernd reflektiert erscheinen lässt. Und der das Spiel über das Niveau der plumpen
Rache-Story erhebt, die es anfangs zu sein scheint. Vielmehr bemüht es sich sogar darum, genau das zu hinterfragen – und damit vor allem die Täter-Opferrollen zu analysieren, die wir in vielen
Blockbuster-Games so gerne kritiklos hinnehmen. Wer ist hier der Gute und wer der Böse? Und hat der Feind vielleicht auch Freunde oder Familie, die seinen Tod betrauern?
Hier findet "The Last of Us 2" Lösungsansätze und Stilmittel, die uns trotz (oder gerade wegen) der vorausgeschickten Brutalität zu Tränen rühren. Schon lange hat mich kein Spiel-Erlebnis
mehr emotional so tief berührt. Damit schafft Naughty Dog eine erstaunlich homogene Verquickung von Blockbuster-Gemetzel und anspruchsvoller Erzählung, bei der vielen stumpf vor sich ballernden
Bildschirm-Metzgern bald ein dicker Kloß im Hals stecken bleiben wird. Toll.
Trotzdem schafft es auch dieser Titel noch immer nicht, sich über die Betrachtung des Spielgeschehens hinaus zu erheben, die vor allem über den Gewehrlauf hinweg und durch ein Zielfernrohr
stattfindet. Ja, vielleicht ist das im Blockbuster-Business schlicht nicht möglich – und immerhin hat man einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan. Trotzden wird geballert,
durchlöchert, erstochen, gerungen und zähnefletschend zerstückelt. Und dabei ist die Darstellung der Gewalt längst nicht immer so Empathie-aufgeladen, wie man es sich eigentlich wünschen
würde.
Hinzu kommen Gameplay-Mechanismen, die ich einem "Resident Evil"-Remake gerade noch so zugestehen kann (eben weil es ein Klassiker-Remake ist), die mich in einem Blockbuster-Adventure von
2020 aber schlicht ärgern: Warum ist meine Heldin, die gerade erst mit viel Muskelschmalz ein schweres Gatter bewegt oder eine verklemmte Tür aufgestemmt hat, nicht imstande, ein paar nasse,
scheinbar sogar leere Pappkartons vor einer Tür wegzuräumen, damit sie durch kann? Und warum kann sie einen Schreibtisch nicht verrücken, obwohl sie vor ein paar Minuten eine schwer beladene
Karre durch das Gebäude geschoben hat, ohne dabei ins Schwitzen zu kommen? Und wieso zum Teufel kann ich die Ruine nicht mehr durch dasselbe Fenster verlassen, durch das ich ins Gebäude gehopst
bin, obwohl neben mir ein ebenfalls durchtrainierter KI-Kollege steht, die mir gerne dabei helfen würde, die fehlenden paar Zentimeter nach oben zu überbrücken?
Klar: Ich kann es nicht, weil es dem Game-Designer nicht in den Kram passen würde. Weil er für diese Situation einen anderen Weg vorgesehen hat oder weil dieser Teil der – eben noch immer
recht geradlinigen – Route nicht ausgearbeitet wurde. Natürlich muss auch 2020 nicht jedes Spiel ein Open-World-Game sein, bei dem ich jederzeit überall hin kann. Es ist absolut legitim, wenn man
im Interesse von Inszenierung, Erzählung und glaubwürdigen Animationen die Bewegungsfreiheit zumindest etwas einschränkt. Nicht jedes Spiel muss 300 Stunden dauern – ich hätte sogar damit
leben können, wenn das neue "Last of Us" deutlich kürzer gewesen wäre, denn stellenweise zieht es sich – zumindest spielerisch – ganz schön und wirken die nach dem ewig gleichen,
entschleunigten Stealth/Angriffs-Schema ablaufenden Kämpfe trotz anfänglicher Begeisterung repetitiv.
Aber derart dramatische Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit nehme ich nur dann kritiklos hin, wenn sie mir im Kontext des Szenario-Designs und der Handlung absolut glaubwürdig
vermittelt werden. Wenn ich mich nicht immer wieder automatisch frage: "Warum kann ich da nicht hin?" Oder: "Warum funktioniert die Strategie nicht mehr, die eben noch funktioniert hat?"
Trotzdem verstehe ich jeden, der Naughty Dogs jüngsten Kreativ-Output als Meisterwerk feiert – denn ja, Erzählung und Inszenierung hinterlassen bleibende Eindrücke. Viele Spiele werden
sich künftig – gerade im Hinblick auf die Reflexion von Gewalt – daran messen lassen müssen. Nur: Als Spiel erlaubt es sich zugunsten eben jener Stärken eine ganze Reihe von Schwächen, die ich
für meinen Teil nicht ignorieren oder vergessen kann… trotz einer großartigen Erzähl-Kehrtwende im späteren Spielverlauf.
Sollte es Druckmann & Co. bei ihrem nächsten Titel allerdings schaffen, dieser Klasse von interaktivierter Erzählung ein ebenso beeindruckes Gameplay-Regelwerk zur Seite zu stellen, dann
werde ich ebenfalls vorbehaltlos applaudieren. Ich freue mich drauf.