Kosmischer Adventure-Staub mit einem Schuss Cthulhu-Mythos: Die Norweger von Rock Pocket verlegen Lovecrafts Horror-Vermächtnis von Neuengland auf den Roten Planeten. Nur: Können fiese Tentakel-Götter zwischen Marsgestein, Rover und hektischer Befüllung von Sauerstoff-Tanks ihre volle Grusel-Wirkung entfalten?
KRITIK • PC, PS4, Xbox One • Glibberige Tentakel-Monster, finstere Mächte aus den Tiefen der Erde und ein schleichendes Grauen, das nach und nach den Geist zersetzt:
Horror-Szenarien, die sich beim "Cthulhu"-Mythos des verstorbenen US-Autoren H. P. Lovecraft gütlich tun, gibt es auch im Computer- und Videospielkosmos jede Menge – und für üblich handeln sie in
kleinen, von Fischmonster-Mutanten überlaufenen Küstenstädten oder finsteren Höhlen. Wie zum Beispiel Cyanides "Call of Cthulhu" oder Frogwares' "Sinking City", die uns Ende 2018 bzw. 2019 in
Lovecrafts düsteren Gedanken-Kosmos entführt haben. Und fast immer beginnen diese Abenteuer im Arbeitszimmer eines schnodderigen Privatschnüfflers oder an Bord eines morschen Kahns, der gerade im
Hafen einer der zitierten Küstenstädte einläuft.
Zugegeben: Dunkle, von bizarren Kreaturen bevölkerte Kavernen und Grotten gibt es auch in "Moons of Madness" von Rock Pocket Games und Funcom – aber die liegen nicht an irgendeiner Küste
Neuenglands, sondern unter der Oberfläche des roten Planeten verborgen. Cthulhu goes to Mars. Indem man das Genre von den gewohnten Küsten- und Meeres-Gebieten in den Weltraum verlegt, gibt man
ihm – zumindest auf den ersten Blick – einen neuen Dreh. Aber die Mechanismen des cthulhoiden Horror-Subgenres sind noch immer intakt: Statt Segelbooten sind es hier eben Space-Shuttles,
statt Kutschen oder Oldtimern Mars-Rover, Tentakel-Pflanzen aus der Gewächshaus-Kuppel ersetzen die glibberigen Greifer vielarmiger Wasserbewohner, die Sauerstoffanzeige des Raumanzugs ersetzt
die Lebensenergie und was sonst auf dem Grund des Ozeans schlummert, das lauert hier in den Tiefen des Sternenmeers.
Will heißen: So groß sind die Unterschiede gar nicht – zumal "Moons of Madness" immer wieder in den Horror-gebeutelten Kopf seines Protagonisten eintaucht, um das futuristische Szenario gegen
ganz und gar irdische Schauplätze einzutauschen – wie etwa einen Gerümpel-überladenen Keller, in dem man dem gruseligen Erbe der eigenen Familie auf die Schliche kommt. Oder eben eine jener
Monster- und Mythen-infizierten Grotten, mit denen früher oder später fast jedes Lovecraft-inspirierte Abenteuer um die Gang-Ecke biegt.
Schon während der ersten, Science-Fiction-geprägten Spielminuten bekennt sich "Moons of Madness" frei heraus zum Tentakel-Horror: Bevor der Protagonist die Mars-Station erkunden darf, in der
zusammen mit seinen Kollegen Leben und Technik unter Einwirkung des Weltraums erforscht, irrlichtert er durch einen interaktiven Albdruck voller schwarzer Glibbermasse, Teer-artiger Fangarme und
schwarzer Schemen. Danach erkundet er im gemächlichen Ego-Schlurf-Schritt allerlei Laboratorien, bringt Pumpen-Systeme wieder in Gang, killt aggressive Horror-Flora mithilfe selbstgemixter
Substanzen, richtet Satelliten-Plattformen neu aus und taucht schließlich ganz, ganz tief in die eigene, von morbiden Grusel-Gedanken zersetzte Psyche ein. Das Ganze wird dann noch mit einer
Geschichte von außerirdischen Göttern und den Ureinwohnern des roten Planten garniert – fertig ist ein Horror-Cocktail, der wie die meisten Lovecraft-Adventures vor allem im entschleunigten Tempo
eines "Walking Simulators" erkundet wird, uns aber außerdem durch einige (oft eher nervige denn wirklich Adrenalin-getriebene) Verfolgungsjagden scheucht – mit dem schnappmäuligen Grauen
direkt an den Astronauten-Hacken.
Seine besten Momente hat "Moons of Madness" immer dann, wenn es in die Geschichte um das Raumfahrer-Team und die finstere Geschichte des Planeten eintaucht, die offenbar von dunklen Kulten und
dem Einfluss kosmischer Gottheiten geprägt wurde – Lovecrafts "Große Alte" lassen schaurig grüßen. Wer Adventures mit "Myst"-DNA vor allem spielt, um seine grauen Zellen zu stimulieren, dem
werden die meisten "Moons of Madness"-Puzzles vermutlich zu seicht sein, aber die Summe aus launiger Knobelei und einer spannenden, glücklicherweise unaufdringlich erzählten Geschichte ist
fesselnd genug, um die meisten Schwächen zu kompensieren – darunter z.B. der zu niedrig angelegte Schwierigkeitsgrad und viel optische Beliebigkeit. Ebenso wie ein "Call of Cthulhu" ist
"Moons of Madness" zwar hübsch genug, um die sorgsam aufgebaute Schauer-Stimmung nicht zu gefährden – aber viel mehr darf man von dem auf inszenatorischer Sparflamme köchelnden Adventure
nicht erwarten.
Unter dem Strich rangiert Rock Pockets Grusel-Cocktail auf dem gleichen Niveau wie fast alle Cthulhu-Abenteuer: Für Genre-Liebhaber ist es ein gefundenes Fressen – aber abseits der Horror-
und Lovecraft-Nische wird es schwerlich echte Freunde finden. Bleibt wie gewohnt die Hoffnung, dass endlich mal ein Entwickler des Weges kommt, der den Schauer-Mythos des Kult-Autoren etwas
weniger zähflüssig und visuell ansprechender in Szene setzt. Aber bis dahin kann ein kurzer Adventure-Ausflug auf den Mars immerhin nicht schaden. (Robert Bannert)
Note: 7.0 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend