Stockwerk für Stockwerk durch den Rätselturm: Luna – The Shadow Dust


 

Mit "Luna: The Shadow Dust" liefert das chinesische "Lantern Studio" ein bezauberndes Point'n'Click-Debüt ab. Das kommt ganz ohne Inventar aus, hat einige der besten Genre-Puzzles seit Langem im Gepäck und erzählt ohne Worte eine rührende Geschichte.

 

KRITIK • PC, Mac • Vor einigen Jahren erlebte das totgesagte Point'n'Click-Adventure eine kolossale Renaissance. Ins Rollen gebracht wurde die überraschende Wiedergeburt des "Zeigen und Klicken"-Genres durch moderne Klassiker wie Pendulos "Runaway"-Serie, den deutschen Abenteuer-Experten Daedalic ("Edna bricht aus", "Deponia") und natürlich den Kickstarter-Erfolg des "Double-Fine-Adventures" (namentlich "Broken Age").

Längst nicht alle der modernen Genre-Vertreter konnten im selbem Maße überzeugen wie zum Beispiel die legendären Point'n'Click-Oldtimer von LucasArts, aber der Hunger der über viele Jahre darbenden Community auf neuen Knobelstoff war groß. So groß, dass der Nachschub erst in Überfütterung und schließlich in Übersättigung mündete. Darum ist die Klick-Sparte heute vielleicht nicht mehr so tot wie vor einigen Jahren – aber der Nachschub an hochkarätiger Point'n'Click-Kost ist einmal mehr gefährlich unterreguliert.

Kein Wunder: Die ausgetretenen Genre-Pfade zu verlassen und neue Wege zu finden, gestaltet sich zunehmend schwieriger – vor allem dann, wenn große Klassiker wie "Monkey Island" oder die "Indiana Jones"-Spiele wie schwarze Monolithen noch immer über allem aufragen. Trotzdem hat das kleine chinesische Entwickler-Quartett "Lantern Studio" genau dieses Kunststück hinbekommen: Sein mithilfe von Kickstarter-Spenden finanziertes Debüt bedient sich ebenso erfolgreich bei den großen Vorbildern der Adventure-Vergangenheit wie bei der Ästhetik von Studio-Ghibli-Filmen und der erzählerischen Dynamik kleiner Kammerspiele. Dabei kommt "Luna: The Shadow Dust" ohne das sonst Genre-typische Inventar aus – und obendrein erzählt das Spiel seine mit großen Gefühlen und herzigen Protagonisten gespickte Geschichte auch noch, ohne dabei ein einziges Wort zu verlieren. Vielmehr lässt man die Optik für sich sprechen – und einige wenige, ausnahmslos mit Symbolbildern gefüllte "Sprech"-Blasen.

 



 

Auf diese Weise verschiebt der kleine Held Kletter-Kisten und betätigt Schalter- oder Hebel-Mechanismen, um den Ausgang des aktuellen Raumes zu erreichen. Oder brutzelt auch mal leckere Gerichte für putzige, Mause-ähnliche Tierchen, die dadurch auf ein Vielfaches ihrer ursprünglichen Größe anschwellen und sich dann ebenfalls – wie eine Kiste – durch die Gegend schubsen und als Trittbrett für weitere Kraxeleien missbrauchen lassen. In einem Rätsel darf man sogar den Taktstock schwingen, damit eine Gruppe aus geklonten Schoßtierchen melodische Katzenmusik anstimmt. Einen felinen Begleiter hat der Held sowieso fast immer im Schlepptau: Das pummelige Pelzwesen quetscht sich durch schmale Durchlässe, übernimmt das Gros der Kletter-Arbeit und darf obendrein mit den Schatten auf der Wand verschmelzen, um dort von Schatten zu Schatten zu hopsen und auf diese Weise sonst unzugängliche Regionen zu erreichen. Außerdem ist das Tierchen auf ganz rührende Weise zermürbt, als es seinen menschlichen Partner für eine kurze Episode aus den Augen verliert.

Zugegeben: Für ein gezeichnetes Abenteuerspiel, dessen Design-Mechanismen überwiegend im Point'n'Click-Genre wurzeln, ist das extrem ambitioniert – aber bei "Luna" fühlt sich der ungewöhnliche Cocktail aus Adventure-Klassik, "Zelda"-verwandter Rätsel-Methodik und ein wenig Jump'n'Run ganz natürlich an. Leicht sind die Knobeleien deshalb aber noch lange nicht: Jeder Raum und jedes Rätsel fordern den Grips auf andere Weise heraus, weil sie das stetig wachsende Regel-Set des Spiels um neue Elemente erweitern. Das kann zwar mitunter ganz schön anstrengend sein, sorgt aber vor allem dafür, dass sich "Luna" trotz seines vergleichsweise kurzen Umfangs nie zu kurz oder anspruchslos anfühlt. Gestandene Rätsel-Löser sollten die Spitze des Turms, um dessen Ersteigung es hier in erster Linie geht, zwar in vier bis fünf Stunden geknackt haben, aber diese Stunden stecken so voller frischer Ideen und knuddeliger, unglaublich liebevoll in Szene gesetzter Protagonisten, dass der kurze Adventure-Exkurs die 20 Euro allemal wert ist. Denn "Luna: The Shadow Dust" ist kleines Knobel-Kino mit großem Herz und ganz viel Grips.

 

Note: 9.0 (SEHR GUT)

 

 


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend