Zurück in die Action-Moderne: Um seine ikonischste "Call of Duty"-Episode wiederzubeleben, setzt Activision seine "Modern Warfare" wieder auf Anfang. Mit alten Bekannten… und der gleichen Wucht?
KRITIK • PS4, Xbox One, PC • Auf offener Straße erhängte Rebellen, ein Massaker in der US-Botschaft und ein vom Spieler kontrolliertes kleines Mädchen, das Panik-erfüllt durch
die Giftgas-gefluteten Gassen ihres Heimatortes taumelt, während russische Spezialeinheiten ihre Familie, Nachbarn und sogar Tiere ermorden: Für das Reboot seines Shooter-Meilensteins "Modern
Warfare" wählen Entwickler Infinity Ward und Hersteller Activision einmal mehr drastische Bilder. Schon für das Original von 2007 hat man sich ein paar handfeste Gewalttätigkeiten und
Kriegsverbrechen geleistet, um die öffentliche Wahrnehmung zu polarisieren.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist einmal mehr das im Mittleren Osten und in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen UDSSR gelegene Fantasie-Land Urzikstan, um das sich neben Russen, einheimischen
Freiheitskämpfern und arabischen Nationen auch noch Amerikaner und Briten zanken. Nachdem Activision beim letzten "Call of Duty" die sonst übliche Singleplayer-Kampagne zugunsten von einem
trendigen Battle-Royale-Modus gleich komplett ausgelassen hatte, ist dieses Jahr wieder großes Action- und Heimkino angesagt: Das Schicksal um die kleine, sich im Würgegriff von Militärs und
Terroristen befindliche Nation wird eine gewohnt cineastische Shooter-Story gestrickt, die zwar mit wenig Überraschungen und noch weniger Bewegungsfreiheit aufwartet, dafür aber mit Schockern und
Taschentuch-Momenten gespickt ist.
Außerdem gibt sich Infinity Ward sichtlich Mühe, den standardisierten Dauerfeuer-Betrieb mit fremden Genre-Einflüssen und anderen Kurz-Intermezzi aufzulockern: Während die rund sechsstündige
Kampagne vor allem damit beschäftigt ist, den Spieler mit bleihaltigen Tatsachen auf Trab zu halten und fotorealistische Schlachtfelder mit einem Effekt-geladenen Detonations- beziehungsweise
Projektil-Gewitter einzudecken, haut "Modern Warfare" in regelmäßigen Abständen die Bremse rein. Zum Beispiel, damit der Spieler per Funk und Kamera die Sekretärin des Botschafters durch die von
Terroristen infiltrierte Botschaft Urzikstans lotsen oder per Fernsteuerung einen Drohnen-Angriff starten kann. Oder er legt sich inmitten von Ruinen auf die Lauer, um mit dem
Scharfschützengewehr Truppen zu beharken, die im Tal unter ihm anrücken. Und schließlich will mit spitzen Controller-Fingern eine Bombe entschärft werden, die um den Hals eines
Terroristen-Warlords baumelt.
Auch beim sogenannten "Gunplay" - also Wirkung und Handhabung der verschiedenen Schießprügel - gibt sich das neue "Call of Duty" souverän: Weil Entwickler Infinity Ward das Action-Abenteuer
endlich mit einer neuen Spiel-Engine inszeniert hat, fühlen sich die verschiedenen Argument-Verstärker angenehm wuchtig und plastisch an: Das Spielzeug-Pistolen-Feeling vergangener
Serien-Episoden ist endlich Vergangenheit. Aufholbedarf gibt es dagegen nach wie vor bei der Künstlichen Intelligenz: Die meisten Gegner beziehen wie gewohnt nach Zinnsoldaten-Art-Aufstellung und
harren dann brav der virtuellen Kugel, die sie niederstreckt - in der Zwischenzeit feuern sie wie gut geölte Schieß-Automaten drauflos, sobald der Spieler seinen Kopf aus der Deckung reckt.
Gewohnt professionell bedient werden auch in "Modern Warfare" solche Spieler, die es vor allem auf digitales Kräftemessen mit oder gegen andere abgesehen haben: Während Infinity Ward für
etablierte Spiele-Gattungen wie "Deathmatch" vor allem die Spieler-Anzahl nach oben schraubt, hat man mit "Ground War" gerade per Download einen neuen Modus nachgeliefert, der den
Massenschlachten aus EA's Konkurrenz-Reihe "Battlefield" Paroli bieten soll. Hier gehen zweimal 32 Schützen aufeinander los, während im Hintergrund Panzerketten rasseln und Spieler-gesteuerte
Helis über den Himmel ziehen. Schade: Auf der Xbox One macht der Bodenkrieg aktuell Probleme, denn ein besonders fieser Bug bringt das System öfters zum Absturz.
Obwohl das "Modern Warfare"-Reboot weder an die Klasse noch die Bedeutung des zwölf Jahre alten Originals heranreicht, hinterlässt die Kombination aus zwar knackig-kurzen, aber dennoch packendem
Solo-Abenteuer und routiniert hochklassigem Mehrspieler-Kawumm einen besseren Eindruck als das Kampagnen-lose und deshalb blutarme "Black Ops 4" von 2018: Auch wenn man letztlich mehr Zeit damit
verbringt, Online-Freunde zu durchsieben, wirkt eine wuchtige Kampagne als Einstimmung Wunder. Gut so. Die Gelegenheit, sein Szenario Kriegs-kritisch zu reflektieren, verpasst "Modern Warfare"
zwar wieder einmal - aber manche der gezeigten Bilder sind so stark, dass sie für sich allein sprechen.
Note: 7.5 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend