Ohrenschmeichler: "Dragon Quest 11: Definitive Edition"


Sieht nicht so gut aus wie auf PS4 und PC, klingt aber dramatisch besser und kommt mit ganz viel Fan-Service: Darum sollte man sich die Switch-Version von "Dragon Quest 11" zulegen.

 

KRITIK • Switch • Als Square Enix Ende 2018 die PS4- und PC-Versionen von "Dragon Quest 11" veröffentlichte, outete ich mich nicht gerade als Fan des japanischen Mammut-Rollenspiels: 8 von 10 Punkten (also eine "2+") waren mir das Abenteuer in der knuffigen Manga-Welt Erdrea wert – nicht schlecht, aber für eine gefeierte Genre-Serie wie "Dragon Quest" auch nicht gerade viel. Dabei bin ich selber langjähriger Freund der Reihe: Wo mir Squares "Final Fantasy"-Schwergewichter meist zu schwerfällig und zu sehr in ihre oftmals pathetisch verschwurbelten Geschichten verliebt sind, da schätze ich "Dragon Quest" für seinen vergleichsweise beschwingten Erzählstil und das angenehm unkomplizierte Gameplay. Als Fan von 16-Bit-JRPGs wie Capcoms "Breath of Fire"-Spielen oder SEGAs "Phantasy Star"-Abenteuern bin ich nämlich ein großer Freund entschlackter Spielmechanismen: Ein Übermaß an Komplexität schätze ich nur dort, wo man es mir selber überlässt, inwieweit ich diese Komplexität ausreize. Haut man mir die fette Regelschwarte dagegen von Anfang an so brutal um die Ohren, dass ich bereits die ersten Spielstunden mit blutender Nase verlasse, dann macht mein Verstand beleidigt dicht – und das Spielspaßbarometer fällt in arktische Regionen.

 

Darum war "Dragon Quest" für mich immer so etwas wie das "Zelda" des japanischen Rollenspiels: Im Grunde kinderleicht – aber trotzdem nie darum verlegen, mir viel spielerische Tiefe zu bieten, wenn ich nur aufmerksam genug danach suche. Ein JRPG, dessen Schwierigkeitsgrad, Tempo und Spielstil ich selber bestimme. Eine Formel, mit der vor allem Nintendo bei seinen Kernmarken seit Jahrzehnten Erfolge feiert.

 

Trotzdem ließ mich Teil 11 eher enttäuscht zurück: Anstatt den ersten PS4- und PC-Auftritt der Traditionsserie für kluge Innovations-Akzente zu nutzen und endlich das Hardware/Handheld-Niemandsland hinter sich zu lassen, in dem man die Reihe von 2009 bis 2018 eifersüchtig eingehegt hatte, pflegte man die Gameplay-, Grafik- und Akustik-Tradition so fanatisch, dass es fast schon an Halsstarrigkeit grenzte. "Dragon Quest 11" – das war ein Handheld-Spiel, das sich zufällig auf den großen Bildschirm und ins 4K-Territorium verirrt hatte. Zugegeben: Spaß konnte man damit noch immer jede Menge haben – aber die Chance darauf, die Marke zumindest behutsam zu modernisieren, hatte man verpasst.

 

An der gefühlten Gameplay-Stagnation vielleicht nicht ganz unschuldig war die bis heute nicht im Westen veröffentlichte 3DS-Version des Fantasy-Trips, von der man sich vermutlich nicht zu stark distanzieren wollte. Immerhin wurde die Pocket-Version von "Dragon Quest 11" eigens für das Handheld-System geschmiedet – mit deutlich kleineren Spielgebieten und zwar schmucker, aber dennoch drastisch abgespeckter 3D-Grafik. Während die Polygon-Kulissen über den oberen der beiden 3DS-Screens flimmern, tippeln die Figuren auf dem unteren Schirm durch ein im klassischen 16-Bit-Look gepixeltes 2D-Pendant des bereisten Terrains.

 



 

Ausgerechnet dieser vermeintliche Hemmschuh für die spielerische Weiterentwicklung der Marke kommt nun Switch-Besitzern zugute: Die dürfen über das Speicher-Menü in Kirchen von der 3D zur Pixel-Fassung springen und umgekehrt. Einschränkung: Einen fliegenden Wechsel zwischen den beiden Versionen gibt es nicht – stattdessen muss sich der Spieler dafür entscheiden, ob er zum aktuellen oder am Anfang eines bereits abgeschlossenen Kapitels in die jeweils andere Spiel-Version eintaucht. Ein Umstand, der den Terrain- und Spielbalance-seitigen Unterschieden zwischen beiden Fassungen zu verdanken ist.

Für Retro-Fans ist das ein klares Plus: Das 2D-"Dragon Quest" ist wunderschön gepixelt und über weite Strecken visuell sogar charmanter als sein großer 3D-Bruder. Schade: Kampfanimationen wie z.B. beim SNES-Original von "Dragon Quest 6" hat sich Square Enix leider gespart – stattdessen ist kämpferisches Stillleben angesagt. Die Pixel-Tierchen zucken nicht mal, wenn man ihnen das Schwert ins Zwerchfell bohrt. Auch bei der Inszenierung besonderer Höhepunkte und Sequenzen gibt sich das Retro-Rollenspiel enttäuschend un-dramatisch: Hier merkt man, dass "Dragon Quest 11" als 3D- und nicht als 2D-Kosmos konzipiert wurde.

 

Eine ganz klare Verbesserung beschert uns Square Enix auf akustischer Seite: Für PS4 und PC präsentierte sich "DQ 11" nicht gerade als Ohrenschmeichler, weil sich der greise Serien-Musikus Koichi Sugiyama zunächst noch standhaft weigerte, die orchestralen Versionen seiner Kompositionen rauszurücken – immerhin ist es der 88-jährige Maestro aus der Vergangenheit gewöhnt, die instrumentale Fassung später als Soundtrack verkaufen zu können, während sich die Gamer mit einer weniger klangvollen Synthie-Version seiner Kreationen zufrieden zu geben haben. In Japan hat das sogar halbwegs funktioniert, beim westlichen Launch des Spiels dagegen ist man auf unerwarteten Widerstand gestoßen: Hier wollte sich keiner so recht mit den Synthie-Melodien abfinden, die da blechern aus den Boxen plärrten und die Abenteurer-Ohren plagten. Entsprechend einsichtig hat man sich bei der Switch-Fassung des Spiels gezeigt: Abgesehen von synthetischem Menü-Geplätscher und einigen wenigen Stücken, von denen keine orchestrale Fassung existiert, tönen jetzt aufwendig abgemischte Ohrenschmeichler aus den Boxen – geht doch. Zugegeben: Wesentlich innovativer wird der "Dragon-Quest-Business as usual"-Soundtrack des Spiels dadurch nicht, aber wenigstens hörbarer.

 

Und tatsächlich: Während wir zu den Klängn von echten Bläsern und Streichern durch die Polygon-Pampa des nach Toriyama-Art inszenierten Fantasy-Reichs flanieren, um Runde für Runde Comic-Monster zu verdreschen und Truhen zu plündern, da geht unsere Motivationskurve auf einmal steil nach oben – und zwar gleich so sehr, dass wir gerne bereit sind, die reduzierte Grafik-Detailsstufe gegenüber den anderen Spielversionen in Kauf zu nehmen. Besonders im Vergleich zu PC und PS4-Pro, die mit spürbar mehr Bodenbewuchs und feineren Strukturen aufwarten konnten. Dennoch: Der knuffige Comic-Stil des Rollenspiels ist unverwüstlich, die fröhlich über das Schlachtfeld turnenenden Monster unverändert sympathisch – und obendrein sorgt die Unschärfe der Switch-Version sogar dafür, dass so manche harte Kante gnädig kaschiert wird. Da eine optimale Kombination aus der besten Grafik- und der klangvollsten Akustik-Variante des Spiels bisher nicht in greifbarer Nähe scheint, raten wir deshalb im Zweifelsfall zur Switch-Version: Die schwächere Optik ist weit besser zu verschmerzen als das an Ohren-Folter grenzende Synthie-Gekreische.

 

Obendrein kommt die "Definitive Edition" des Spiels mit willkommenen Ergänzungen wie neuen Geschichten um die schrille Helden-Crew, frischen Einstell-Möglichkeiten und mehr Freiheit bei der Konstrukkton neuer Ausrüstungs-Gegenstände: Letztere ist ab sofort fast überall bequem über das Menü erreichbar und nicht nur auf abendliches Lagefeuer-Gebastel beschränkt. Obendrein dürfen wir jetzt die Zwischensequenzen überspringen, können die vertrackten Pferde-Rennen mithilfe eines speziellen Items einfacher gestalten und unseren vierbeinigen Freund sogar dazu motivieren, so schnell durch die überraschten Monster im Feld hindurch zu preschen, dass die darüber verdutzt und harmlos durch die Pampa purzeln.

 

Klarer Fall: Die Switch-Fassung kommt einer "definitiven" Auflage des JRPGs tatsächlich nahe. Wer die Wahl hat, greift vorzugsweise hier zu und lässt die – wenn auch hübscheren – Versionen für PS4 bzw. PC links liegen. Uns ist die vor allem akustische Verbesserung der Reise eine Aufwertung um 0.5 Punkte und damit zum ersten Mal ein "Sehr gut" wert.

 

Note: 8.5 (SEHR GUT)

 

 


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend