Für "Man of Medan" taucht Interactive-Movie- und Horror-Spezialist Supermassive auf den Meeresboden: Eine Gruppe Twens will ein Flugzeugwrack bergen, findet statt Schätzen aber das nackte Grauen. "Man of Medan" soll der erste Teil der "Dark Pictures"-Anthologie werden, in der Supermassive voneinander unabhängige Grusel-Storys erzählt, die eines eint: die Vielzahl an folgenschweren Entscheidungen, die der Spieler treffen muss.
KRITIK • PS4, Xbox One, PC • Nach Sonys PS4-exklusivem "Erica" bekommen Freunde von interaktiven Spielfilmen mit Supermassives "Man of Medan" zum zweiten Mal Thriller-Futter: Wie
"Until Dawn" vom selben Entwickler zelebriert das erste Adventure der "Dark Pictures"-Anthologie vor allem filmische Horror-Klischees. In diesem Fall sind es gruselige Unterwasser- und
Geisterschiff-Fabeln, die das Studio mal mehr, mal weniger geschickt zitiert und als komplex verästelten Story-Baum inszeniert: "Man of Medan" begleitet ein Team aus jungen Twens, bei denen ein
vermeintlich abenteuerlicher Unterwasser-Ausflug zum Horror-Trip gerät: Zuerst taucht man auf den Meeresgrund, um die jugendliche Neugierde in einem versunkenen Flugzeugwrack aus Weltkriegszeiten
zu befriedigen, anschließend wird man von Piraten gekapert und auf das Wrack eines havarierten US-Kreuzers aus derselben Zeit entführt.
Wie bei den Interactive Movies von Quantic Dream ("Heavy Rain") oder dem eigenen "Until Dawn" zeichnet sich "Man of Medan" dadurch aus, dass es Interactive Movie mit Game kombiniert: Häufig ist
das Abenteuer wie ein Film präsentiert und interagiert der Spieler mit der Story, indem er zwischen verschiedenen Dialog- oder Aktions-Möglichkeiten wählt. Dann wiederum übernimmt er die
Kontrolle des aktuellen 3D-Akteurs, um ihn durch rostige Schiffs-Korridore, heruntergekommene Kajüten oder eine Ratten-verseuchte Kombüse zu manövrieren und dabei die Umgebung in Augenschein zu
nehmen.
Bilder untersuchen und herumdrehen oder Schriftstücke studieren, um mehr über die ehemalige Mannschaft des menschenleeren Potts zu erfahren: An dieser Stelle gibt sich "Man of Medan" fast wie ein
"vollwertiges" Adventure-Game. Außerdem kokettiert das Spiel ebenso wie ein "Heavy" Rain oder "Beyond: Two Souls" mit gelegentlichen Action-Einlagen: Wird die aktive Spielfigur etwa in eine
Schlägerei verwickelt oder soll sie dem Übergriff einer Spukgestalt ausweichen, dann muss der Spieler genau im richtigen Moment die eingeblendeten Buttons bearbeiten - "Quicktime Event" nennen
Genre-Profis diese "Unart" interaktiver Möchtegern-Spielfilme, um hin und wieder die Reflexe des Spielers abzufragen. Verhaut er die Herausforderung, entwickelt sich das Abenteuer manchmal anders
- und nicht selten ist der Tod der oder einer von mehreren Spielfiguren die Folge.
Nach diesem Rezept entfaltet sich auch in "Man of Medan" ein zumindest zeitweise spannendes Abenteuer, beim dem simple Entscheidungen und Verfehlungen Einfluss darauf haben können, wie die
Geschichte endet und - vielleicht noch wichtiger - wer von den anfangs fünf Protagonisten dieses Ende überhaupt erlebt. Wirklich berechenbar sind die entweder hierhin oder dorthin führenden
Entwicklungen allerdings kaum: Wer den bestmöglichen Ausgang des Abenteuers sehen möchte, der muss es fast unweigerlich auswendig lernen und mehrmals durchspielen.
Schade nur, dass "Man of Medan" trotz (halbwegs) prominenter Darsteller wie Shawn Ashmore, Ayisha Issa ("Dark Phoenix", "Warm Bodies") oder dem als Kurator einer Horror-Galerie aufspielenden Pip
Torrens ("Das Erwachen der Macht") für mehrere Durchgänge einfach nicht genug zu bieten hat: Die meist Zeit über ist das interaktive Adventure-Filmchen eher langatmig als spannend, obendrein kann
sich die Wertigkeit der Produktion mit dem älteren und von Sony veröffentlichten PS4-Abenteuer "Until Dawn" zu keiner Zeit messen: Scheinbar konnte Publisher Bandai Namco die
Multiplattform-Entwicklung nicht mit so viel Geld unterfüttern wie Sony. Dadurch erscheint die auf mehrere Episoden ausgelegte "Dark Pictures"-Reihe zwar auf allen gängigen Systemen, aber
spielenswerter wird sie dadurch nicht.
Kleines Trostpflaster: Immerhin ist "Man of Medan" als erstes Abenteuer der Anthologie für vergleichsweise günstige 30 Euro zu haben. Trotzdem wird man für die nächsten Episoden - und die sollen
immerhin im halbjährlichen Rhythmus erscheinen - qualitativ zulegen müssen. Sonst hat der als eine Art "Crypt Keeper" angelegte Kurator der "Dark Pictures"-Galerie vielleicht bald nichts mehr zu
erzählen.
Für Mehrspieler-Fans könnte das Abenteuer dennoch interessant sein: Wer sich online mit einem Freund ins Grusel-Geschehen stürzt, der nimmt dabei immer eine andere Figur und Perspektive als sein
Gegenüber ein. Auf diese Weise kann man der Geschichte Wendungen und Szenen abringen, die im Einspieler-Modus nicht zu sehen sind. Das funktioniert zwar nicht immer gleich gut, macht diesen
Mehrspieler-Modus aber besonders attraktiv. Bitte mehr davon! Wer dagegen mit mehr Spielern ins Grusel-Meer abtauchen will, der muss sich dafür gemeinsam angstvoll vor den Fernseher kuscheln und
das Pad rumreichen.
Note: 6.0 (BEFRIEDIGEND)