Auf dem Highway ist die Hölle los: Days Gone


 

KRITIK • PS4 • Riesige Horden aus hungrigen Untoten, die eigentlich noch quicklebendig sind. Die tägliche Suche nach Schutz und Ressourcen. In Camps zusammengepferchte Überlebende, die sich um die letzten Brotkrumen streiten. Und mittendrin: ein wortkarger Helden-Biker, der sich mit Armbrust, Schrotflinte sowie Baseball-Schläger bewaffnet gegen die Postapokalypse stemmt. Ein bisschen wie Norman Reedus alias Daryl im Langzeit-Schlurfer-Krieg "The Walking Dead". Nur leider weniger charmant.

Mit diesem Szenario liefert Sony ein geschätztes Jahr vor Anbruch der nächsten PlayStation-Generation endlich seinen eigenen, PS4-exklusiven Zombie-Krieg. Der ist allerdings - anders als zum Beispiel das Xbox- und Windows-exklusive "State of Decay 2" - eine reine One-Man-Show. Auf Koop-Modi oder andere Multiplayer-Features verzichtet "Days Gone", denn wie die meisten von Sony produzierten PS4-Blockbuster will man hier vor allem eine Geschichte erzählen: Nachdem die Menschheit von einem Virus nahezu ausgerottet und die meisten Überlebenden zu aggressiven, animalischen Quasi-Zombies ("Freaker") mutiert sind, reisen Harley-Rocker Deacon und sein etwas schwerfälliger Kumpel "Boozer" durch das fast menschenleere Oregon. Trotz der ständigen Gefahr, von versprengten Freaker-Gruppen oder gigantischen, aus mehreren hundert Monstern bestehenden Herden gefressen zu werden, wagen sich die beiden immer wieder aus ihrer schützenden Basis. Denn die wenigen überlebenden Menschen benötigen dringend Ressourcen - und die gibt's nur in den von Monster-Rudeln überschwemmten Siedlungen oder Industrie-Anlagen, die sich in der ländlichen Kulisse zwischen hohe Nadelhölzer, felsige Wüstenstreifen oder verschneite Berglandschaften kuscheln. Als Boozer beim Konflikt mit einem fanatischen Endzeit-Kult auch noch seinen Arm einbüßt, muss Deacon den Überlebenskampf alleine austragen.

 

Während der Biker-Bruder seine Wunden leckt, rückt Deacon aus, um Missionen für die Überlebenden-Lager zu absolvieren oder den eigenen Rohstoff-Vorrat aufzustocken: Gerupfte Mini-Bäume werden in Bolzen für die Armbrust verwandelt, Alkohol und alte Lappen in Verbandszeug oder (in Kombination mit Flaschen) in Molotov-Cocktails. Mit den Überbleibseln von Auto-Motoren oder anderen Schrott-Reservoirs wiederum repariert der bastlerisch versierte Rocker Nahkampfwaffen wie Baseball-Schläger und Machete oder bringt den heißen Ofen wieder in Gang. Denn ohne Feuerstuhl geht in "Days Gone" gar nichts: Das motorisierte Zweirad ist das einzige Fortbewegungsmittel, mit dem sich Deacon schnell genug durch die riesige Open World bewegen kann, um Distanzen in akzeptabler Zeit zu überbrücken und den hungrigen Widersachern zu entkommen.

 

Umso wichtiger ist es, den fahrbaren Untersatz zu pflegen, dem auch ein paar Upgrades nicht schaden können: So hilft ein Reserve-Tank dabei, die lästige Benzinsuche zu entschärfen oder fassen zusätzliche Satteltaschen mehr Munition, während ein zweiter Lachgas-Tank dem Motorrad zu kurzen Geschwindigkeits-Boosts verhilft - perfekt, wenn man sich eine Verfolgungsjagd mit Gang-Mitgliedern rivalisierender Biker-Gangs liefert. Allerdings hat jede Verbesserung der Ausrüstung ihren Preis. Nicht etwa zahlbar in Dollar oder Kronkorken, sondern Einfluss. Je mehr Missionen, Botengänge oder Gefallen man für eines der Überlebenden-Camps erledigt, desto höher steigen die Einflusspunkte - allerdings nur in diesem betreffenden Laber. Umso wichtiger ist es, hier schon früh im Spiel Schwerpunkte zu setzen: Unterstützt man lieber das Camp mit dem Profi-Mechaniker, der Deacons Bike pimpt - oder doch lieber das Lager mit dem besseren Waffen-Dealer? Persönliche Präferenzen gibt es dabei übrigens kaum: Überlebt haben in dieser Welt nur die härtesten Hunde – darum verdient von den Camp-Chefs keiner einen Sympathie-Pokal.

 




Zum Glück lassen sich Defizite bei der Ausrüstung fast immer durch geschicktes Schleichen kompensieren: Wenn Deacon die Spielwelt Stück für Stück von Freaker-Nestern säubert, dann geht er am besten leise vor - und zwar tagsüber. Dann schlafen die meisten Bestien gemütlich in ihren Verstecken. Weiterer Vorteil dieser Taktik: Hat man einen der Monster-Schlupfwinkel erstmal abgefackelt, ist er für immer futsch und treiben sich in seiner Umgebung künftig weniger Zombie-artige Kreaturen herum. Wer die Spielwelt auf diese Weise gründlich von "Monster-Generatoren" befreit, der hat es später etwas einfacher.

Schade nur, dass "Days Gone" abseits der systematischen Rückeroberung von Freaker-investierten Landstrichen und der Suche nach Ressourcen überraschend schwach ist… auf der Biker-Brust: Die postapkalyptische Open-World mag stimmungsvoll und detailreich sein, aber die fast vollständige Abwesenheit von menschlichen Gesprächspartnern hat ihren Preis. "Days Gone" reduziert die Apokalypse auf Schleichen, Nester-Abfackeln und einige taktische Deckungsgefechte, die sich auf eine riesige Weltkarte verteilen und den Gamer dadurch immer wieder mit viel Leerlauf konfrontieren. Auch Emotionen kommen dabei leider etwas zu kurz: Die in Rückblenden erzählte Lovestory um Deacon und seine mutmaßlich verblichene Frau hat zwar ihre Momente – kommt aber im Angesicht von kreischenden Zombie-Hundertschaften, hungrigen Monster-Wölfen und bestialischen Banditen zu kurz, um das zwar nicht blut-, aber dafür etwas inhaltsleerere Szenario tragen zu können.

 

Zumal es Sony Bend die meiste Zeit über versäumt, die apokalyptische Kulisse für die Sorte unzähliger kleiner Geschichten zu nutzen, wie sie uns z.B. ein "Fallout 4" vermittelt. Die verlassenen Gebäude in "Days Gone" sind vor allem Beute-Reservoirs und fungieren als Deckung für den Kampf gegen die Freaker – aber wer hier zwischen alten Küchenmöbeln, vermoderten Betten oder stummen Fernseh-Schirmen herum schleicht, der findet nur selten Hinweise darauf, dass diese Welt irgendwann einmal gelebt hat und Zeuge tragischer Einzelschicksale war. Entsprechend wenig scheren wir uns auch darum, was aus ihr wird. Das digitale Oregon ist zwar schön, aber am Ende ähnlich hohl wie die vielen, uns aus zerborstenen Scheinwerfern anstarrenden Autowracks, die überall kreuz und quer über die Straßen verteilt liegen. Ohne dabei auch nur einen einzigen Mechaniker zu finden, der sich ihrer erbarmen und sie wieder auf Vordermann bringen möchte, während der Rest der Menschheit auf perfekt gewarteten Bikes durch die Pampa brettert und dabei riskiert, direkt vom Motorrad-Sattel gemampft zu werden.

 

Das Biker-Szenario hinter "Days Gone" hat zwar seinen Reiz – aber ganz stimmig ist es nicht. Was bleibt, das ist eine prächtige Natur-Kulisse, die außerdem die packendsten Untoten-Schlachten der jüngeren Games-Geschichte liefert – immerhin. Zumindest an dieser Stelle funktioniert der erste große Blockbuster der "Syphon Filter"-Macher tadellos: als eine Art Loot-Shooter Deluxe mit wenigstens einem Hauch von "Mir ist nicht alles scheißegal"-Story und ohne Online-Komponente. Wer also eine Art "Zombie-Division" haben möchte, die er in vollen Zügen alleine genießen und bei der kreativ Quasi-Untote durchlöchern, sprengen, abfackeln oder auch mal in Bärenfallen laufen lassen kann, der bekommt viel geboten fürs Geld. Wer dagegen ein tragisches Endzeit-Epos vom Kaliber eines "The Last of Us" oder mit der Bewegungsfreiheit eines "Fallout" erwartet, der lässt diesen Weltuntergang besser aus.

 

Note: 8.0 (GUT)

 

 



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