TEST • Switch • Dem Trip in die Virtuelle Realität per Premium-Headset war bisher kein allzu großer Erfolg beschieden, aber mit seiner Papp-Brille "Cardboard" hat Google schon
vor Jahren zum ersten Mal für so etwas wie eine Massenmarkt-Verbreitung des Mediums gesorgt. Vorausgesetzt, man hat kein Problem damit, der Paarung aus Pappe und Smartphone den Begriff
"VR-Brille" zuzugestehen.
Jetzt versucht sich Nintendo mit seiner neuesten "Labo"-Bastel-Kombi an einem ganz ähnlichen Konzept: Das "Toy-Con 04"-Set kommt mit einer Cardboard-verwandten Papp-Halterung nebst dazugehöriger
Plastik-Linsen - nur, dass in diesem Fall kein Handy, sondern die Switch-Konsole in der Aussparung vor den Brillengläsern landet. Mal ohne und dann wieder mit Joy-Cons. Oder mit nur einem
montierten Controller, während der zweite lässig in der Hand ruht, die gerade nicht mit dem Halten des "Headsets" beschäftigt ist. Denn wie Googles Original-Cardboard verfügt auch Nintendos
Labo-Headset über keinerlei Mechanismus, mit dem sich das überraschende wuchtige Paket am Kopf fixieren ließe. Das muss der Spieler stattdessen per Muskelschmalz erledigen.
Auch die ebenfalls in der Box liegenden Erweiterungs-Sets funktionieren nach diesem Prinzip: Die ergeben zum Beispiel eine Elefanten-Maske mit schwenkbarem Rüssel, eine Kamera, einen
Schwanen-ähnlichen Papp-Piepmatz nebst "Gaspedal" sowie einen wuchtigen Blaster - das Vorzeigestück des rund 85 Euro teuren Pakets. Übrigens: Wer es gerne etwas günstiger hat, der beschränkt sich
auf die kleinere Variante: Die kommt mit dem Headset und der Kanone, Rüssel- sowie virtuelles Federvieh fehlen allerdings. So oder so werden die Erweiterungsmodelle mit dem
Labo-Cardboard-Pendant kombiniert - als Fenster in die virtuelle Realität. Die Sets selber sind dabei alles andere als kosmetischer Natur, vielmehr fungieren sie als eine Art
Interface-Bedienhilfe, mit der die jeweilige Spielerfahrung unterstützt wird: So macht einen das Aufsetzen der Elefanten-Maske nicht tatsächlich zum Törööö-Tier - vielmehr hilft der Papp-Rüssel
(mit Joy-Con am Ende) dabei, den Interaktions- und Greif-Radius des Spielers in der Virtuellen Realität zu definieren.
Labo-typisch sind die Qualität von Modellen und Bauanleitung tadellos - ganz so viel Bauspaß wie mit den anderen Sets hat man allerdings nicht, denn die VR-Kits sind überwiegend fix gebaut.
Einzige Ausnahme ist der schwere Blaster, der mit komplexem Ziel sowie Zug-Mechanismus kommt und aus einer ganzen Fülle an Bastelbögen zusammengefummelt wird. Hier und da erfordert das Anbringen
von Gummi-Zügen sowie Infrarot-reflektierenden Sticker-Elementen ein wenig Geduld und vielleicht die helfende Hand eines Erwachsenen - aber davon abgesehen rangiert der
Konstruktions-Schwierigkeitsgrad der Modelle auf einem durchweg kinderfreundlichen Niveau. Wer sich die Labo-Sets bisher in erster Linie wegen des komplexen Bastel-Faktors zugelegt hat, der wird
möglicherweise etwas enttäuscht. Zumal die Software - bisher der größte Kritikpunkt an der Labo-Serie - nur geringfügig besser ist als bei den Vorgängern: Anstatt sich auf zwei oder drei wirklich
vollwertige VR-Erlebnisse zu konzentrieren, bietet Nintendo ein Füllhorn aus Mini-Games, die entweder allein mit der Basis-Brille oder einem der Erweiterungs-Kits gespielt werden. Schwerelose
Bauklotzwelten, knuffige Mini-UFOs, lustige Roboter, Vogel-Flugstunden, knobelige Geschicklichkeits-Tests mit Murmeln sowie simple Action-Spielchen – abgesehen von der launig-knuffigen
Monster-Jagd mit dem Blaster hat keines der VR-Spielchen das Zeug dazu, mehr als nur ein paar Minuten zu fesseln. Muss es aber auch nicht – denn um den ganzen langen Spielspaß ging es bei "Labo"
im Grunde noch nie.
Auch weil kaum jemand ernsthaft Interesse daran haben dürfte, so lange eine Pappbrille vor seinen Guck-Apparat zu halten, bis ihm die Arme lahm werden, stört das nur bedingt. Stellt sich nur die
Frage, warum man dann überhaupt in die virtuelle Papperei abtauchen sollte. Die Antwort: Weil es funktioniert! Obwohl Nintendo diesmal weder geniale Bastel- noch Spiel-Herausforderungen bietet,
ist es eben ganz erstaunlich, wie die kleine Switch zur funktionierenden VR-Maschine mutiert. Auch die Tatsache, dass der 720p-Schirm eigentlich kaum hochaufösend genug ist, um ein
stereoskopisches Bild zu liefern, wird hier geschickt kaschiert: Nintendos VR-Welt lässt sich natürlich nicht mit der aus einem teuren "PlayStation VR", "Oculus"- oder "HTC Vive"-Headset
vergleichen, aber das will sie auch gar nicht. Sie ist vielmehr die logische und angenehm verspielte Weiterentwicklung dessen, was Googles Cardboard angestoßen hat. Bleibt nur noch zu hoffen,
dass die kommenden VR-Updates für "Breath of the Wild" und "Super Mario Odyssey" etwas anspruchsvollere Spielerfahrungen bieten - dann wäre wirklich für jeden was dabei.
Note: 8.0 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend
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