PS4 & Co. sind zwar schon Auslaufmodelle, aber die nächste Konsolen-Generation ist noch nicht wirklich in Sicht. Wesentlich konkreter ist da schon die Konkurrenz aus dem Streaming-Lager. Und vielleicht brauchen wir ja im Angesicht von Stadia & Co. gar keine neuen PlayStations und Xboxen mehr – oder doch?
von Robert Bannert
Knapp sechs Jahre haben PS4 und Xbox One inzwischen auf dem Plastik-Buckel – und sollten sie tatsächlich Ende 2020 von einer Nachfolge-Generation abgelöst werden, dann hätten sie das
ungefähr das gleiche Alter erreicht wie ihre Vorgänger, als man sie ausmusterte. Viel bekannt ist bisher nicht über die neuen Flaggschiffe von Sony bzw. Microsoft – nicht mal über das angestrebte
Geschäftsmodell der Hersteller ist man sich ganz sicher. Denn die Frage nach der Zukunft der Konsolen ist auch untrennbar mit der Frage nach Cloud- und Abo-Gaming verknüpft. Konzepte wie Stadia
oder Apple Arcade könnten anstelle von greifbarer Hardware die "Konsolen" der Zukunft sein – immerhin verspricht uns der Zock aus der Dose ein illustres "Wann Du willst, wo Du willst und
worauf Du willst". Günstigstenfalls könnte ein "streamisches" Erfolgsszenario für eine schöne neue Spielewelt sorgen, die sich endgültig von der Hardware-Rüstungsspirale entkoppelt und in der
irgendwie jeder mit jedem kann. Der schon seit 8-Bit-Zeiten gängige "Ätsch, meine Hardware ist aber viel geiler als Deiner!"-Habitus würde damit endgültig der Vergangenheit angehören.
Schlimmstenfalls wäre die grenzenlose Gaming-Welt aber zugleich eine, in der wir als User immer mehr Rechte verlieren. Zum Beispiel das Recht darauf, ein Produkt wirklich zu besitzen. Und es auch
dann zu genießen, wenn unsere Internet-Leitung streikt oder der Vertrag des Spiele-Herstellers mit dem des Plattform-Betreibers endet. Schon jetzt haben große Publisher Vorteile, weil sie sich
bessere Produkt-Platzierungen im klassischen Einzelhandel oder auf digitalen Vertriebsplattformen leisten können – aber Streaming-Kanäle hätten das Zeug dazu, dieses Monopol noch weiter zu
stärken. Eine reelle Chance auf Sichtbarkeit hätte hier nur, wer sich durch schiere Markt- oder Marken-Macht in einer guten Verhandlungsposition befindet, während die Kleinen und Allerkleinsten
zunehmend schwächeln. Sie würden für ihre vergleichsweise geringen Aufrufs-Zahlen bestenfalls homöopathische Geldbeträge bekommen. Independent-Games wären in diesem neuen Geschäftsklima nur noch
dann überlebensfähig, wenn sie unmittelbar durch den Plattform-Betreiber kuratiert oder durch einen Indie-freundlichen, größeren Publisher vertreten werden. Kein Wunder, dass große Drittanbieter
wie Activision, Electronic Arts oder Ubisoft den Durchbruch der Streaming-Ära schon lange herbeisehnen: Sie hoffen, dass ihnen durch günstige Abo-Modelle und die Entkoppelung von Hardware-Grenzen
oder System-Voraussetzungen mehr Konsumenten denn je ins Netz gehen.
Dass diese Diskussion ausgerechnet in dem Moment hochkocht, in dem Google die Streaming-Bühne betritt, hat einen guten Grund: Vergleichbare Konzepte gibt es zwar schon, seitdem David Perry vor
rund zehn Jahren damit angefangen hat, sein Gaikai-Süppchen zu kochen – aber erst mit dem Engagement des Youtube-Eigentümers und Online-Service-Kraken ist der Startschuss für das interaktive
Streaming-Zeitalter wirklich gefallen. Denn wenn jemand die technischen, monetären und Netzwerk-seitigen Ressourcen hat, um diese Vision umzusetzen, dann Google. Auch der Starttermin ist clever
gewählt – denn aktuell befinden wir uns wieder mal in dem Niemandsland zwischen zwei Hardware-Generationen. Beim Auslaufen der letzten Geräte-Generation waren es Android-basierte Quasi-Konsolen
wie die OUYA, die – befeuert vom Erfolg der Smartphones und Tablets – die Übergangszeit genutzt haben, um unser Interesse zu wecken. Der Geruch von etwas Neuem lag in der Luft
– aber noch war nicht ganz klar, was genau dieses "Neue" sein würde. Darum waren wir bereit, so ziemlich jedem unser Vertrauen zu schenken, der das Vakuum mit einem klangvollen Konzept
füllen wollte.
Zwischen-Fazit: Je länger die Konsolenhersteller warten, bis sie ihre neuen Flaggschiffe entweder vom Stapel laufen oder uns zumindest einen kurzen Blick in die Schiffswerft blicken lassen, desto
größer die Chance, dass ein anderer den leeren Hafen anläuft und es sich am Pier gemütlich macht.
Für Microsoft wäre ein derartiger Ausverkauf des klassischen Hardware-Konzepts vermutlich nicht mal schmerzhaft: Der Windows-Hersteller verfügt in der aktuellen Konsolen-Generation über keine
sonderlich große Hardware-Basis – aber dafür über eine Menge User, die er gerne an eine Hardware-unabhängige Streaming-Plattform wie seine neue "xCloud" binden würde. Etwas anders sieht das
bei Sony aus: Der PlayStation-Hersteller hat mit "PlayStation Now" derzeit zwar das einzige wirklich funktionierende Streaming-Angebot in petto, aber das ist aktuell wenig mehr als ein
Testballon. So werden aktuelle PS4-Exklusiv-Titel den Abonnenten noch immer systematisch vorenthalten, denn Sony möchte lieber Konsolen und Spiele verkaufen als Now-Abonnenten gewinnen. Nirgendwo
sonst zeigt sich so vortrefflich, wie sehr sich das an harte Retail-Verkäufe gebundene Konsolen-Geschäft und das Streaming-Modell widersprechen. Ob Sony es schaffen würde, sein
Hardware-getriebenes Business-Modell rechtzeitig von Verkauf- auf Streaming- und Abo-Fokus umzuschalten, ist fraglich. Aber vielleicht muss man das auch gar nicht: Denn als die PlayStation 4 Ende
2013 erscheint, ist die Konsole im Angesicht von Smartphone- und Selfpublishing-Revolution bereits ein totgesagtes Modell. Darum versucht sich Nebenbuhler Microsoft für die Xbox One nicht an
einem klassisch konsolischen, sondern einem multimedialen Hybrid-Konzept – und erlebt damit prompt eine brutale Schlappe, während Sony durch Altbewährtes siegt. Und das mit gigantischem
Vorsprung. Denn längst nicht alle Gamer ticken so einfach, wie sich die Konzerne das wünschen. Zwar schrumpft die ehemals dominante Identifikation mit verschiedene Konsolen zusehends, während die
Plattform-unabhängige Bindung an die Communities wächst – aber noch immer wollen viele Spieler sammeln, horten und die Artefakte ihrer geradezu kultischen Verehrung in Schrank oder Vitrine
stellen.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Der psychologische Trigger-Effekt durch neue Hardware. Würde man das Games-Geschäft von der Notwendigkeit entkoppeln, neue und attraktive
Hardware-Plattformen zu entwickeln, würde es rasant stagnieren. Sich in eine triste Service-Landschaft verwandeln, in der wir jedem neuen Release gleichgültig gegenüberstehen und wir uns lustlos
durch Spielewelten ackern, die darauf ausgelegt sind, uns in ewigen Endlosschleifen gefangen zu halten. Dabei würden sie aber der menschlichen Natur widersprechen – denn auch der Mensch
selber denkt und funktioniert in Zyklen. Er entwickelt sich nicht langsam und peu a peu, sondern in Sprüngen. Zum Beispiel, weil er dazu gezwungen wird, sich auf neue Umstände einzustellen oder
Ereignisse zu reagieren. Dann erwacht der Mensch aus seiner Lethargie, wird die Neugierde in höchste Alarmbereitschaft versetzt und macht sich die Begeisterungsfähigkeit sprungbereit. Entfernt
man diese zyklische Triebfeder aber aus der Entwicklung, sind früher oder später Desinteresse und Dämmerzustand die Folge.
Und jetzt mal ehrlich: Wäre eine Welt ohne jede Hardware-Diskussion oder Neugierde auf frische Technologie wirklich erstrebenswert? Möchten wir die Vorfreude missen, die mit der bevorstehenden
Ankündigung neuer Systeme und ihrer Leistungsdaten oder besonderen Features einhergeht? Oder die Streitbarkeit, die ein schöner, altmodischer System-Krieg mit sich bringt? Mitsamt all seiner
erhitzten Online-Debatten, Shitstorms und Troll-Aufstände? Immerhin ist die Aufregung doch seit jeher ein wesentlicher Teil des ganzen Spaßes. Und ja, darum brauchen wir die neue
Konsolen-Generation unbedingt. So schnell wie möglich, so stark wie möglich, so klassisch wie möglich – und dabei trotzdem innovativ genug. Nicht nur mit in die Länge gezogenen
Service-Spielen, für deren "Lösung" wir die halbe Konsolen-Generation benötigen. Sondern vor allem mit kurzen, knackigen sowie lustvollen Spiel-Erlebnissen, die uns genau das Spektakel-Kaliber
liefern, das nur eine mit Big-Screen und Heimkino verstöpselte Konsole kann. Mit Exklusiv-Entwicklungen voller technischer und spielerischer Revolutionen, die uns mit offenen Mündern zurück, die
Wände beben und die Nachbarn mit drohend erhobener Faust vor unserer Wohnungstür Sturm läuten lassen. Darum sollten wir die nächste Konsolen-Generation herbeisehnen und feiern, als wäre es
tatsächlich die letzte – damit danach noch eine kommt. Und dann noch eine… und noch eine… und noch eine…
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