Nur ein kurzer Hype, aber kein anhaltender Trend? Trotz sinkender Preise für die Hardware und steigender Auswahl an Software-Titel gelang Virtual-Reality-Systemen wie Oculus Rift, HTC Vive oder PlayStation VR noch immer nicht der große Durchbruch auf dem Massenmarkt. Dabei verpassen Skeptiker so einiges: Ausnahme-Titel wie Sonys "Astro Bot", Polyarcs interaktives Mäuse-Märchen "Moss" oder das kultige "Beat Saber" zeigen, dass immer mehr Entwickler die Möglichkeiten des neuen Mediums verstehen und in atemberaubende Spielkonzepte umwandeln. Hier erfahren Sie, welche Titel zuletzt absolut begeistern konnten.
Die futuristische VR-Antwort auf Mario: Astro Bot - Rescue Mission
Mit "Astro Bot Rescue Misson" legt Sonys Japan-Studio die Messlatte für künftige PlayStation-VR-Veröffentlichungen ein ganzes Stück höher: Die bereits aus dem Multiplayer-tauglichen "The
Playroom" bekannten Mini-Roboter spielen hier die Hauptrolle. Und einmal mehr sehen PlayStationVR-Nutzer in der virtuellen Welt ein Ebenbild des Dual-Shock-Controllers vor sich, in dem sich die
Kerlchen verstauen lassen. Weil die Artgenossen des Astro-Bots von einem fiesen Alien kreuz und quer über den virtuellen Kosmos verstreut wurden, muss ein schräger Cartoon-Planet nach dem anderen
abgesucht werden, um die Roboter-Rasselbande wieder zu komplettieren. Ein Konzept, für das sich Sonys Japan-Studio von "Super Mario" inspirieren lässt: Anstelle von Sternen werden kleine
Blechkameraden gesammelt - und zum jeweiligen Boss-Kampf wird man nur vorgelassen, wenn man genügend davon hat. Darüber hinaus dient das virtuelle Gamepad zum Auslösen von Spezialfähigkeiten:
darunter ein Greifhaken, mit dem man Elemente aus der Level-Architektur löst oder Sprungseile für den kleinen Roboter-Begleiter spannt.
Man spürt einfach, dass die "Astro Bot"-Welten von Anfang bis Ende clever durchdacht sind. Hinzu gesellen sich eine gesunde Portion Charme, interessante Perspektiven und jede Menge aberwitzige
Einfälle, die den Ausflug der kleinen Blechkübel zum bisher stärksten Virtual-Reality-Jump&Run überhaupt und einem der besten Exklusiv-Titel für PlayStationVR machen. Den Juroren bei den Game
Awards war das Konzept eine Auszeichnung für das beste VR-Spiel 2018 wert.
Virtuelle Puppenstube mit Maus: Moss
Interaktiver Lesespaß in VR: Polyarcs "Moss" greift die Ideen von bekannten Roman- oder Spiele-Serien wie "Tintenherz" beziehungsweise "Myst" auf, um den Spieler in eine Märchenwelt
jenseits der Buchseiten zu katapultieren. Die werden unter anderem von der herzigen Maus Quill bewohnt, die man mit Gamepad- und Hand-Kommandos durch allerlei Gefahren und Rätsel lotst. Dabei
changiert Quills Streifzug durch das Königreich "Moss" zwischen virtueller Puppenstube, Knobel-Exkurs und spielbarer Märchenstunde. Der Spieler selbst schlüpft in die Rolle eines "Lesers":
Während er durch die Seiten eines dicken Wälzers mit Quills Geschichte blättert, verschmilzt er allmählich mit der Handlung und schwebt als eine Art stiller Beobachter durch wundervoll
modellierte Miniatur-Welten. Sich darin umzuschauen und dabei als Teil einer zauberhaften, vor Leben pulsierenden Fabel zu fühlen - das wäre auf dem Bildschirm nie in dieser Intensität möglich
gewesen!
Das anfangs PSVR-exklusive Adventure ist inzwischen auch für den PC und alle dort gängigen Headsets zu haben: von Oculus Rift über HTC Vive bis hin zu Microsofts Mixed-Reality-Standard.
Rhythmische Lichtschwert-Schlacht: Beat Saber
Die besten Lichtschwert-Duelle liefert kein "Star Wars"-Spiel: In "Beat Saber" zersäbelt der Spieler möglichst im Takt der Musik heran schwirrende Kisten, während er geometrischen Formen
ausweicht. Klingt fast schon zu simpel, macht dank treibender Rhythmen und großartiger Steuerung aber so viel Spaß, dass man gar nicht mehr aufhören möchte und dann auch schon lässig zu posieren
beginnt - kurz bevor man verschwitzt zusammenbricht. Denn "Beat Saber" ist ganz schön anstrengend. Das kann man übrigens am Beispiel zahlloser Youtuber und Twitch-Streamer beobachten, denn der
musikalische Geschicklichkeitstest hat sich rasant zum Streaming-Hit entwickelt.
"Beat Saber" lässt sich für alle gängigen PC-Headsets installieren und ist außerdem für PS4 beziehungsweise PlayStation VR verfügbar.
Klon-Körper, wechsel Dich: The Persistence
Das Kontrollprogramm des Mega-Raumschiffs "Persistence" befindet sich im Alarm-Zustand: Weil der DNA-Printer des Kolosses auf einmal lauter Zombies "druckt" und damit die Besatzung dezimiert,
driftet der Riesenpott jetzt führerlos durchs All und geradewegs auf ein Schwarzes Loch zu. Darum greift die Schiffs-KI zum letzten Strohhalm: Sie schnappt sich das DNA-Sample einer toten
Überlebens-Expertin und produziert die wehrhafte Dame von nun an in Serie: Jedes Mal, wenn die "Heldin" den untoten Monster-Klonen zum Opfer fällt, marschiert prompt ein neues Exemplar aus der
Drucker-Station.
Das Problem dabei: Der neue Klon muss ohne all die schicken Ausrüstungsgegenstände klar kommen, die sich die Vorgängerin so mühsam erkämpft hat. Weil sich die Korridore und Räume des kolossalen
Potts obendrein nach jedem Ableben neu arrangieren, steht der Spieler wieder am Anfang seiner Reise. Ausnahme: Die mithilfe von gesammelten DNA-Samples gekauften Verbesserungen bleiben - wie zum
Beispiel mehr Lebensenergie oder bessere Überlebensfähigkeiten. Das düstere, beklemmende und teils haarsträubend perfide VR-Erlebnis für Freunde von Froms "Dark Souls"-Reihe. Vorausgesetzt, man
nennt eine PS4 nebst PSVR-Headset sein Eigen.
Spukhaus ohne Grusel-Faktor: Deracine
Mit "Deracine" schlägt der durch seine "Dark Souls"-Reihe bekannte Entwickler From ausnahmsweise ruhige Töne an: Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Gespenstes, das durch ein ländliches
Waisenhaus spukt. Doch anstatt Kinder das Fürchten zu lehren, tritt er über "Myst"-ähnliche Adventure-Komponenten mit ihnen in Kontakt und übernimmt die Rolle eines liebevollen Schutzgeistes. Die
Kinder selber verharren dabei wie erstarrt an einer Stelle, denn Gespenster existieren laut "Deracine" in einer Dimension jenseits der Zeit. Erst wenn der Geist es schafft, durch die Manipulation
von bestimmten Gegenständen Zugang zur Gefühlswelt des jeweiligen Protagonisten zu finden, werden die Kinder kurzzeitig aus ihrer Starre befreit und geben ihm daraufhin wertvolle Hinweise. Hat
man eine Episode abgeschlossen, darf der Geist in die Zukunft oder Vergangenheit der Kinder reisen, um weiterhin Einfluss auf ihr Schicksal zu nehmen.
Als Bildschirm-Abenteuer würde das gefühlvoll in Szene gesetzte und vergleichsweise leise "Deracine" untergehen, doch dank VR nimmt man so unmittelbar am Schicksal der Protagonisten teil, als
wäre man tatsächlich da. Froms VR-Debüt ist vielleicht kein Grund, in eine PSVR-Brille zu investieren, aber ein klarer Pflichtkauf für alle, die bereits eine haben.
Den Wüstensand im Gesicht spüren: Borderlands 2 VR
Ähnlich wie die VR-Version von Bethesdas Mammut-Rollenspiel "Skyrim" zeigt auch das virtuelle "Borderlands 2" beide VR-Extreme zugleich: Einerseits hat Entwickler Gearbox den modernen Action-Klassiker mit zahlreichen Komfort-Optionen fit gegen die VR-Krankheit gemacht. Andererseits hat man es versäumt, die Grafik-Kulisse des Spiels an das neue Medium anzupassen. Weil Objekte in einer in der virtuellen Welt kleiner wirken als auf dem Bildschirm, verkommt die postapokalyptische Comic-Welt über weite Strecken zum Zwergenstaat: Die Feinde sind ebenso wie die vom Spieler vor die Kamera gehaltenen Waffen viel zu klein. Auch die verschiedenen Portale und Durchlässe sind oft so winzig, dass man mit dem Kopf durch den Tüstock läuft. Das "Borderlands 2" trotzdem unverändert viel Spaß macht, ist dem unverwüstlichen Spielkonzept des Abenteuers geschuldet: Die altbekannte Kombination aus rasantem Ego-Shooter, toonigen Cel-Shading-Look und Rollenspiel-Rüstungsspirale funktioniert 2018 noch genauso gut wie 2012 - auch in VR.
Familien-Therapie im Cyberspace: Transference
Der von "Herr der Ringe"-Star Elijah Wood produzierte Cyber-Krimi "Transference" lässt eine zerstrittene Familie eine Gruppentherapie der ganz besonderen Art durchleiden: Jedes Mitglied wird
separat in eine digitale Umgebung gebeamt, um dort über seine Probleme zu reflektieren. Doch dann dreht die virtuelle Umgebung durch und ihre Besucher durch den Gehirnwolf. Ubisofts spielerische
Umsetzung des mit Horror-Momenten durchsetzten Verwirrspiels arbeitet mit einigen extremen Jump-Scares und versetzt den Spieler ebenso gezielt wie gekonnt in Unwohlsein. Klarer Fall: Nerven- oder
gar Herz-schwache Headset-Besitzer sollten um das schaurige "Transference" einen großen Bogen machen. Geübte Horror-Fans mit viel VR-Erfahrung dagegen freuen sich über einen cleveren Psycho-Trip,
der außerdem ein paar echte Rätsel bereithält.
Wer den Abstieg in die Cyber-Hölle riskieren will, wird für PlayStation VR, Oculus Rift und HTC Vive fündig.