Stürmischer Zerstörungstrip: Just Cause 4


 

Keine gezielten Scharfschüsse, sondern heillose Action-Chaos in einem gigantischen, experimentellen Sandkasten bieten Avalanche und Square Enix auch im vierten "Just Cause". Die überdimensionierte Baller-Bude birgt zahllose Möglichkeiten, um Feinde und ihre Behausungen auf kreative Weise auseinanderzunehmen - sogar die Naturgewalten werden schamlos ausgenutzt, um für zerstörerisches Durcheinander zu sorgen. Aber verbirgt sich hinter dem Inferno auch ein gutes Action-Spiel?

KRITIK • PS4, Xbox, PC • Wer Wind sät, wird Sturm ernten: Getreu diesem Motto zerlegt Avalanches menschliche Abrissbirne Rico Rodriguez auch in "Just Cause 4" ein von gierigen Diktatoren-Krallen geknechtetes Insel-Paradies. Wie immer mit dabei: Greifhaken, Fallschirm und der Wing Suit. Durch die clevere Kombination seines altbekannten "Handwerkszeugs" bewegt sich der kantige Action-Held erstaunlich flüssig und flexibel durch die fiktive Tropen-Nation Solis. Wuchtet sich mit dem Greifhaken in die Luft, um anschließend per Gleitschirm zielsicher auf dem Dach eines fahrenden Autos zu landen und das Vehikel daraufhin zu kapern. Ganz einfach ist das allerdings nicht: Bereits in den Vorgänger-Spielen hat das komplexe Handling von Ricos ungewöhnlicher Fortbewegungs-Technik viele Gamer-Griffel auf eine harte Probe gestellt - und weil Entwickler Avalanche in Teil 4 zahlreiche neue Spielsysteme einführt, wird das Spielerlebnis nicht unbedingt komfortabler. Nur komplexer. Bereits bekannt ist zum Beispiel ein Gefechts-Manöver, bei dem der Held zwei Gegenstände per Greifhaken miteinander verknüpft und dann zusammen schnalzen lässt: Auf diese Weise lassen sich verschlossene Hangartore mit Explosivfässern bewerfen, lässt man gegnerische Autos crashen oder Feinde mit voller Wucht den Asphalt knutschen.

Neu ist dagegen die Möglichkeit, Objekte auf diese Weise mit mehreren kleinen Fesselballons oder Düsenantrieben zu koppeln, damit sie anschließend  übers Firmament trudeln oder zischen. Fantasievolle Spieler nutzen die Neuerungen, um sie auf kreative Weise mit der Spielphysik und Ricos Sprung-Manövern zu koppeln: Wer seinen eigenen Luxus-Boliden zum Beispiel mit einer Ballon-Traube aufsteigen lässt, der kann seinen Wagen dann in luftiger Höhe verlassen, um nach dem Absprung mit dem Wingsuit pfeilschnell dem Erdboden entgegen zu schießen. Noch kreativer wird's, wenn man vom neuen Modifikations-System Gebrauch macht: Mit dessen Hilfen können Enterhaken, Ballons und Düsen in ihren Effekten spielerisch variiert werden - vorausgesetzt, man versteht den Umgang mit den fummeligen Modding-Mechanismen. Denn auch an dieser Stelle gilt: Erst viel Übung macht den Meister. Besonders Serien-Einsteiger tun sich mit der fortgeschrittenen Luftakrobatik schwer, weil "Just Cause 4" die Kenntnis um seine Spielmechanismen bereits voraussetzt. Serien-Neuligen werden sich von der Kombination aus hochkomplexer Steuerung, viel zu hastig eingeführten Spielsystemen und einem erbarmungslosen Dauerfeuer-Betrieb hoffnungslos überfordert fühlen.

 



 

Zumal Avalanche seinen rasanten Baller-Sandkasten sogar um eine strategische Komponente bereichert: Um Solis vor seinen Diktatoren und ihrer Privat-Armee - der "Schwarzen Hand" - zu befreien, muss Rico die ansässigen Rebellen-Milizen mobilisieren: Ein Kunststück, das ihm nur mithilfe des "Chaos"-Systems gelingt. Und bei dem ist der Name Programm: Hat der professionelle Randalierer erstmal genügend Gebäude und Gegner in Bildschirm-füllenden Ketten-Explosionen verglühen lassen, darf er per Übersichtskarte neue Truppen platzieren und die Widerstands-Front verschieben, um dem fiesen Diktator Oscar Espinosa ein weiteres Gebiet abspenstig zu machen. Besonders kompliziert ist diese "Taktik-Komponente light" zwar nicht - aber auch sie wird viel zu schnell eingeführt und erhöht ohne Not die Einstiegshürde, bevor man sich auch nur halbwegs warm ballern konnte. Überraschend spät führt Avalanche dagegen die Unwetter ein, mit denen das Spiel schon seit Monaten so eifrig geworben hat: Espinosa hält die Inselbevölkerung mit raffinierter Wetter-Technologie im Würgegriff, die Hurricans, Sandstürme und Blizzards entstehen lässt. Die kann Rico in Kombination mit seiner Ausrüstung zwar clever nutzen, um noch mehr Chaos anzurichten - aber eine wirklich tragende Rolle im Gesamtgefüge des Spiels nehmen die Natur-Phänomene nicht ein, ist ihr Wirkungsbereich doch stark begrenzt. Spontan auf der Karte von Solis erscheinende Superstürme sucht man vergebens.

Dennoch: Wer die schwindelerregend hohe Einstiegshürde nicht scheut und wer gelebtes Action-Chaos mit experimenteller Note lieber zelebriert als ein wohlgeordnetes Baller-Schema, der dürfte auch mit dem neuen "Just Cause 4" seinen Spaß haben. Allerdings haben Bewegungs- und Handlungsfreiheit ihren Preis - und der wird vor allem mit Grafik-Performance gezahlt: Selbst auf PS4 Pro, Xbox One X und hochgezüchteten PCs ist Ricos neues Abenteuer alles andere als ein Hingucker, vor allem aus der Nähe betrachtet offenbart es platte 3D-Modelle, hässlichen Textur-Matsch und eine allenfalls rudimentäre Art-Direction. Nur wer diesen Preis zu zahlen bereit ist, schlüpft ins Wingsuit.

 

 

Note: BEFRIEDIGEND

 


ZESTÖRERISCHE KOLUMNE

Warm mich "Just Cause" nervt: Kreativer Vernichtungs-Modus und explosiver Gute-Laune-Motor oder stumpfsinniger Nervtöter, der seinen Zenit längst überschritten hat? elektrospieler Robert über sein schwieriges Verhältnis zur "Just Cause"-Reihe. (MEHR)