An die Bälle, fertig, los: "Pokémon, Let's Go, Evoli!"


 

Um die Wartezeit auf das erste "echte" Switch-"Pokémon" zu verkürzen, hat sich Nintendo in diesem Jahr für einen Schritt entschieden, den man von dem Hersteller sonst nicht gewöhnt ist: Content-Recycling. Statt einer neuen Episode um die kleinen Hosentaschen-Monster gibt es erstmal ein Switch-Remake der ursprünglich für den Game Boy veröffentlichten "Roten" und "Blauen" Edition von 1999 - diesmal namentlich "Let's Go, Evoli!" und "Let's Go, Pikachu!" Mit bei "Pokémon Go" entliehenen Gameplay-Elementen und einem echten Poké-Ball als alternativem Eingabegerät für spannende Abenteuer in der Kanto-Region.

KRITIK • Switch • Das "Go" im Namen der neuen "Pokémon"-Episoden weist bereits auf die wichtigste Änderung gegenüber dem Original hin: Beide Spiele suchen den Schulterschluss zu "Pokémon Go!" - Niantics Augmented-Reality-Game, das im Sommer 2016 Millionen Monsterjäger weltweit mit ihren Smartphones durch Vorgärten, Parks und sogar Firmen-Foyers trampeln ließ. Mittlerweile wurde die App fast eine Milliarde Mal heruntergeladen und hat fast zwei Milliarden Dollar Umsatz generiert. Inzwischen ist "Go" zwar auf ein "normaleres" Maß zusammen geschrumpft und sind Monster-jagende Teenager in den Innenstädten eher die Ausnahme denn die Regel - aber eine Koppelung von "Go" und "Let's Go" drängt sich trotzdem geradezu auf. Wer beide Spiele über das Internet miteinander koppelt, bekommt deshalb als Belohnung für die in "Go" gefangenen Pokémon Geschenke. Oder er transferiert bis zu tausend der kleinen Kreaturen direkt in die "Let's Go!"-Spielwelt: Anschließend besucht er einen der über die Kanto-Region verteilten "Go"-Parks, um seine in München, Berlin, Hamburg oder anderen deutschen Städten und ländlichen Regionen gemachten Fänge zu bewundern.

Doch die "Go"-Verwandschaft des Switch-Titels geht noch weiter - und längst nicht alle Bestandteile davon dürften Fans der klassischen "Pokémon"-Spielereihe schmecken. Denn Nintendo hat die bekannten Runden-Kämpfe der Original-Spiele ausgemustert, um sie stattdessen gegen das Kampfsystem von "Pokémon Go" einzutauschen. Beim Smartphone-Spiel schubst der Spieler seinen Pokéball per Touchscreen in Richtung Pokémon, um das Wesen in der Cyber-Kugel gefangen zu nehmen. Der Fang-Vorgang auf der Switch ist nahezu identisch, allerdings wird für den Ballwurf stattdessen ein Switch-Joy-Con geschwungen. Wer "Let's Go" allerdings unterwegs und im Handheld-Modus zockt, der braucht dafür nur einen Button zu drücken.

 



 

Besonders authentisch wird die Monster-Hatz, wenn man anstelle des Joy-Cons das "Pokéball Plus"-Accessoire verwendet: Das für rund 45 Euro separat erhältliche, ballförmige Gimmick kommt mit allen Eingabe-Optionen des Joy-Cons und bringt außerdem ein paar launige Extras mit. So machen sich im Ball gefangene Pokémon durch Vibrationen und Lichterspiel bemerkbar - außerdem kann man die Kerlchen nach dem Fang in der echten Welt spazieren tragen, indem man den Pokéball Plus zum Beispiel in einer Einkaufstasche oder im Rucksack verstaut. Koppelt man ihn dann zu Hause wieder mit der Konsole, gibt's für den Gassi-Gang nützliche Ingame-Belohnungen. Trotzdem empfhielt es sich aktuell noch, für die Monster-Jagd in den Mobil-Betrieb der Switch zu wechseln: Die Reaktionen des Spiels auf die Wurf-Bewegungen von Joy-Con oder Balls fallen mitunter ziemlich willlkürlich aus - das kann für einigen Frust sorgen. Hoffentlich bessert Nintendo hier bald mit einem Update nach, denn gerade das "Pokéball Plus"-Feture hat viel Potenzial. Auch die Idee, die komplette Spielsteuerung auf ein einziges der beiden Switch-Joy-Cons zu legen, ist interessant: Auf diese Weise kann man beim Spiel wunderbar entspannt auf der Couch lümmeln. Vielleicht geht die Idee auf eine Initiative von Shigeru Miyamoto zurück: Der legendäre "Mario"- und "Zelda"-Guru schwärmt schon seit Jahrzehnten von einer absolut entspannten und einhändigen Spielsteuerung.

Trotzdem sollte man vom TV-Spiel mit "Let's Go" nicht zu viel erwarten: Den Game-Boy-Design-Unterbau des Originals merkt man dem Spiel jederzeit an, auch die überraschend grobe Grafik erreicht über weite Strecken nur gehobenes 3DS-Niveau. Entsprechend verschnupft dürften gerade solche Fans reagieren, die sich vom Switch-Debüt der knuffigen Tierchen ein vollwertiges "Pokémon"-Erlebnis für den großen Bildschirm erhofft haben, denn "Let's Go" ist im Kern nach wie vor ein Handheld-Game. Immerhin: Niedliche Detailaufnahmen der Pokémon und Touchscreen-Streicheleinheiten dürften gerade junge Nachwuchs-Trainer in Entzücken versetzen.

An der richtigen Adresse sind aber vor allem solche Spieler, die nach all den Jahren endlich einen handzahmen Einstieg ins zunehmend komplexe "Pokémon"-Universum finden möchten. Denn trotz einiger Schwächen beim TV-Spiel und des geringen Umfangs spielen sich "Let's Go, Evoli!" und "Let's Go, Pikachu!" wunderbar flüssig. Allerdings sollte Nintendo beim mutmaßlich für 2019 anstehenden "echten" Switch-Debüt lieber auf die etablierteren Rundenkämpfe setzen: Die für Casual-Gamer konzipierten "Go"-Duelle sind zwar handlich, aber sie berauben die Serie eines wichtigen Kern-Features. Klassische Zug-um-Zug-Gefechte, wie man sie sonst aus den Spielen gewohnt ist, gibt es beim Kräftemessen mit anderen Pokémon-Trainern zwar noch immer - aber das ist einfach nicht genug.

 

Note: 7.5 (GUT)

 

 

WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend