"God of War" ohne brachiale Knöpfchen-Drück-Exzesse oder Hochgeschwindigkeits-Kombos - geht das? Zu seinem vierten Einsatz ist Sonys Kampfspiel-Wüterich Kratos zwar nicht unbedingt milde
geworden - aber immerhin ein bisschen kampfesmüde. Wir erinnern uns: In Teil 3 massakriert er das gesamte griechische Götter-Pantheon - und auf den überlangen Wutanfall folgt sein vermeintlicher
Tod. Im Nachfolger ist der merklich gealterte Kratos zwar noch überraschend lebendig, aber dafür auch merklich ruhiger: Jahrelanges Exil im eisigen Norden haben dem göttlich-explosiven Gemüt
sichtlich gut getan - doch wirklich ordnen konnte der Sohn des Zeus sein Leben noch immer nicht. Einmal mehr beklagt er den Tod einer liebevollen Gefährtin - und der aus der Verbindung hervor
gegangene Sohn entpuppt sich schnell als kränkliches, jähzorniges Sorgenkind. Als der "God of War" schließlich von seiner Vergangenheit eingeholt wird, folgt eine Odyssee durch die von Monstern,
Riesen und mythischen Kreaturen bevölkerte Sagenwelt Midgard. In deren Verlauf muss sich Kratos als Vater, Action-Gott und sogar Rollenspiel-Held beweisen.
Die Integration des griechischen Asylanten in den nordischen Fantasy-Kosmos indes ist nur bedingt gelungen: Kratos selber interessiert sich für seine Exil-Heimat kein bisschen - stattdessen
überlässt er es Sohnemann Atreus, all die Runen, Schriften, Rätsel und Götzenbilder zu interpretieren, denen die beiden auf ihrer Reise in die Berge begegnen. Inzwischen suchen die beiden nach
einer letzten Ruhestätte für die Asche der verblichenen Mutter. Die war es auch, die dem rund zehnjährigen Atreus alles beigebracht hat, was es über den hohen Norden zu wissen gibt - denn anders
als Kratos war die Dame in Midgard heimisch. Entsprechend wenig weiß der grummelige Kriegsgott a.D. zunächst mit dem neugierigen und quirligen Sprössling anzufangen: Mit der Vaterrolle fühlt sich
Kratos anfangs mehr überfordert als beim Gefechte gegen haushohe Trolle oder Frost-spuckende Eisriesen.
Doch auch im Kampf gegen allerlei übernatürliches Gesocks ist das muskelbepackte Raubein etwas aus der Übung: Seine Kettenklingen hat Kratos in Griechenland gelassen - stattdessen schwingt er
jetzt eine wuchtige Axt aus magischer Zwergen-Fabrikatur. Die ist zwar nicht ganz so elegant wir Kratos' frühere Bewaffnung - aber dafür lässt sie sich schleudern und kehrt nach einem Treffer zu
ihrem Besitzer zurück. Und je weiter sich der halbgöttliche Haudrauf wieder im Verdreschen von Monstrositäten übt, desto mehr Erfahrungspunkte, Talismane und Ausrüstungs-Verbesserung bekommt er,
die ihn zu einer noch tödlicheren Kampfmaschine machen. An dieser Stelle ähnelt das neue "God of War" eher einem Rollenspiel oder Adventure als einer Action-Orgie. Auch das Spieltempo hat
Entwickler Sony Santa Monica merklich reduziert: Wo früher im Sekundentakt geprügelt, gesäbelt und gemetzelt wurde, gibt sich das Abenteuer im hohen Norden betont entschleunigt. Sony gönnt dem
Vater-Sohn-Duo reichlich Ruhepausen, in denen es die prachtvoll gestaltete Sagenwelt der Edda erkunden und dabei außerdem seine heikle Beziehung aufarbeiten kann. Außerdem genießen die beiden
Helden ungewohnt viel Bewegungsfreiheit: Zwar ist auch das neue "God of War" kein Open-World-Spiel - aber die auf einer umfangreichen Landkarte markierten Orte verzweigen sich, halten
umfangreiche Nebenmissionen bereit und können häufig noch mal besucht werden - denn viele Pforten und geheime Pfade werden erst zugänglich, wenn Vater und Sohn dazu gelernt haben.
Auch sonst unterscheidet sich das neue "God of War" drastisch von den Kampfspiel-Exzessen der PS2- und PS3-Ära: Die Kamera ist hinter den alternden Helden gewandert, um den Exkurs zwischen
verschneiten Ruinen, finsteren Grotten und nordischem Gehölz so unmittelbar und eindrucksvoll wie möglich einzufangen. Wird Kratos von tobenden Trollen, Ghulen oder anderen zähnefletschenden
Kreaturen herausgefordert, wehrt sich der altgediente Kämpfer mit wuchtigen Faust- oder Axthieben, während er bei Angriffen hinter seinem Schild in Deckung geht. Spezialmanöver beherrscht er noch
immer - aber die wollen zuvor mithilfe von Erfahrungspunkten erlernt werden und fallen außerdem wesentlich weniger komplex aus als gewohnt: Blitzschnell in das Pad zu hämmernde Fingerbrecher
gehören der Vergangenheit an.
Trotzdem ist die Reise durch Midgard kein Zuckerschlecken: Wer das Abenteuer nicht gerade auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad ("Story-Erfahrung") bestreitet, der muss sich bei jedem Feind ganz
genau überlegen, wie und wo er den "Stier" bei den Hörnern packt. Verblüffend außerdem, wie nah und intensiv man die Gefechte diesmal erlebt - in "God of War" wird jedes noch so kleine Gefecht
zum gnadenlosen, dreckigen Duell. Als überraschend nützlich erweist sich dabei der nur auf den ersten Blick schmächtige Sidekick Atreus: Kratos' Sohn spickt die Feinde auf Tasten-Kommando mit
Pfeilen - bei besonders dicken Brocken ein willkommenes Ablenkungsmanöver, das Papa Zeit zum Verschnaufen gibt.
Obwohl "God of War" vor allem durch seine prachtvolle und mitunter erstaunlich gefühlvolle Inszenierung punktet, ist die vielleicht größte Errungenschaft des Abenteuers, dass es all seine
göttlichen Qualitäten ohne jede Ladepause auf die Mattscheibe hext: Die Reise von Vater und Sohn ist von Anfang bis Ende eine einzige, große, den Spieler in endloses Staunen versetzende
Kamerafahrt. Das Resultat ist ein wahres Präsentations-Wunder, das durch jedes Blatt, jeden Stein sowie jede Textur-Pore strömt und an dem sich künftige Blockbuster-Games werden messen müssen:
"God of War" schiebt fast alles zur Seite, was von der Film-artigen und kraftvollen Präsentation seiner Spielwelt oder ihrer Akteure ablenken würde - dazu zählen Szenenwechsel und
Ladebalken-Screens ebenso wie plumpes Manöver-Pauken. Schade nur, dass sich der Titel immer wieder in seinen fein verästelten und dicht mit Mikro-Feinschrift zugepackten Menüs verliert:
Waffen-Upgrades, Fertigkeiten und das Verbessern oder Herstellen von Ausrüstungsgegenständen sind zwar zeitgemäß umgesetzt - aber ihre Integration ins Spiel ist zu buchhalterisch ausgefallen. An
dieser Stelle wäre weniger mehr gewesen - denn Sonys Action-Abenteuer lebt nicht von seinem Regelwerk, sondern dem Erlebnis-Faktor. Und einer Intensität, wie man sie in viel zu wenigen Games
spürt: Obwohl Kratos gelernt hat, seine Wut zu bändigen, ist sie doch deutlich spürbar - immer unter der Oberfläche brodelnd und jederzeit dazu bereit, sich in einer Vulkan-artigen Explosion zu
entladen. "God of War" ist nicht nur der System-übergreifend schönste Action-Titel - es ist vor allem pure, Energie-geladene Spielfreude. Eine Spielfreude übrigens, von der Besitzer des
Pro-Modells besonders viel haben: Auf einem 4K-Fernseher oder unter 1080p und mit Supersampling entfaltet Kratos seine ganze bestialische Wucht.
NOTE: sehr gut