Pixel-Punk mit Nerd-Note: "Watch Dogs 2"

 

Weltverbesserer oder durchgeknallte Cyber-Kriminelle? Mit der neon-bunten Hacker-Crew aus "Watch Dogs 2" korrigiert Ubisoft viele Fehler im Spieldesign des ersten Teils – aber kann die grelle Hipster-Bande auch erzählerisch fesseln?

 

Greller Pixel-Punk, Airbrush-Ästhetik mit Neon-Note, ein Hauch "Dungeons & Dragons", ein KI-gesteuertes Auto im "Knight Rider"-Look, jede Menge "Nummer 5"-Zitate, ein bisschen Judas Priest – und fertig ist der Rundumschlag durch die behutsam digitalisierte Nerd-Kultur der 80er-Jahre: Nach dem bierernsten Rache- und Hacker-Thriller des ersten Teils liefert Ubisoft ein knallbuntes Potpourri antiquierter Cyber- und IT-Klischees – Hauptsache Retro, Hauptsache schräg.

 

Und Held Marcus Holloway fügt sich brav in den eigenwilligen Stilmix: Bei seinen mal echten, mal digitalen Streif- und Raubzügen durch die "San Francisco Bay Area" gibt sich der farbige Antiheld – ganz nach Lust und Laune – als virtuell agierender Freiheitskämpfer, als kompromissloser Gangster oder rumalbernder Popkultur-Junkie. Um den bitterbösen Tech-Riesen CTOS zu bekämpfen, schließt sich Marcus der Hacker-Crew "Dedsec" an – einer illustren Spinner-Truppe irgendwo zwischen "Big Bang Theory", Cyber-Goths und "Mr. Robot". Erklärtes Ziel der Crew: Verschwörungen der High-Tech- und Computer-Riesen sabotieren, die natürlich einzig dem Ziel dienen, alle angschlossenen User auszunehmen und zu überwachen. Leider lebt Dedsec dabei eine ausgesprochene Doppelmoral: Die Kontrolle des Datenstroms ist böse – aber im Namen der digitalen Freiheit sehr reale Personen zu überfahren, über den Haufen zu schießen oder buchstäblich "zu Tode zu hacken", das geht in Ordnung. Nun versucht Ubisoft zwar, die eigentlich knallharte Killer-Crew und ihre Abenteuer möglichst überzogen darzustellen, um ihnen eine ironische Note zu verpassen – doch so erkennbar dieses Unterfangen auch ist, so sehr misslingt es die meiste Zeit über.

 



 

Umso abstruserer wirkt das Abenteuer, denn Möchtegern-Moral, der chronische Helferkomplex des Helden und die überdeutliche Retro-Hommage des Titels wollen so gar nicht zu seinen Spiel-Mechanismen passen: Einem "Assassin's Creed" oder "FarCry" würden die Open-World-Eskapaden eines Marcus Holloway gut zu Gesicht stehen, auch seinem Vorgänger Aiden Pearce aus dem ersten "Watch Dogs" – doch der freundlich-überdrehten Plaudertausche will man den eiskalten Meuchler nicht so recht abkaufen. Wenn Marcus mit kreischenden Bremsen durch die kalifornische Metropole kurvt, mit rücksichtslosen Hack-Manövern für Massen-Karambolagen sorgt oder das Handy von Wachpersonal in deren Händen explodieren lässt, dann zerstört er dabei Leben – ob er es nun darauf abgesehen hatte oder nicht. Hätte Ubisoft falsche moralische Entscheidungen mit ernsthaften Konsequenzen geahndet oder zumindest die bitterböse Ironie eines "GTA" adaptieren können, würde sich "Watch Dogs 2" vermutlich ein bisschen weniger verdreht anfühlen.

 


Problembehaftet und erst seit kurzer Zeit wieder online: Der Multiplayer-Modus erlaubt das nahtlose Eintauchen in die Spielerfahrung anderer. Wer lieber ungestört loslegt, muss s manuell deaktivieren.
Problembehaftet und erst seit kurzer Zeit wieder online: Der Multiplayer-Modus erlaubt das nahtlose Eintauchen in die Spielerfahrung anderer. Wer lieber ungestört loslegt, muss s manuell deaktivieren.

 

Wer Dedsecs Kampf dagegen nicht in erster Linie als nur leidlich gelungene Parabel auf Abhör-Affären, Hacker-Attacken und die omnipotente Vernetzung verstehen will, sondern darin vielmehr eine launige Open-World-Gaudi sehen will, der kommt schon eher auf seine Kosten: Unter der gewöhnungsbedürftigen Oberfläche versteckt sich eine clevere Mixtur aus rasanter Action und facettenreichen Computer-Fertigkeiten. Wie sein Vorgänger hackt sich Marcus nur mit seinem Handy bewaffnet ebenso in Sicherheitskameras, Firewalls und Server wie ins Privatleben und den Kontostand argloser Passanten. Immerhin: Holloway muss dafür meistens ein paar Knöpfchen mehr drücken als sein Vorgänger Pearce. Oder sich in komplexen Sicherheits-Netzwerken zurechtfinden, Knotenpunkte neu ausrichten und Hacking-Drohnen fernsteuern. All das macht Holloways Geschichte zwar interessanter, aber auch deutlich behäbiger als die von Aiden Pearce. Schade außerdem, dass die Spielwelt ungewöhnlich klein geraten ist: Da sind wir von Ubisoft ganz andere Open-World-Kaliber gewöhnt. Dafür hat sich das in Kanada ansässige Studio bei der Detailausarbeitung diesmal umso mehr Mühe gegeben: Die Bay-Area ist zwar eine der kleinsten, aber dafür auch die lebendigste Umgebung, die der Hersteller bisher realisiert hat. Wer sich hier an eine Kreuzung stellt oder mit dem Motorrad einen Abstecher ins Grüne macht, der wird dabei – ganz ohne eigenes Zutun – Zeuge eines Spiele-Universums, das auch ohne den Spieler hervorragend klar kommt. In dem junge Pärchen eng umschlungen durch die Straßen flanieren, Selbsthilfe-Gruppen im Park über ihre Probleme diskutieren, Passanten den Tod eines Unfallopfers beklagen und sich überhaupt die Illusion einer selbständigen Welt zeichnet. Die kommt übrigens aktuell in erster Linie auf einer PS4 Pro zur Geltung: Hier ist die Bay Area ein ausgesprochener Hingucker – auf normaler PS4 und Xbox One fällt das Bild eher unspektakulär aus.

 



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