Achtung, "Die Zwerge" kommen! Interview mit Chef-Bartträger Jan Theysen

Jan Theysen
Jan Theysen

In den meisten Fantasy-Szenarien spielt das Volk der Zwerge eine eher untergeordnete Rolle: Sie sind die kauzigen, bärbeißigen Axtschwinger, mit denen mal mehr, mal weniger gut Krischen essen ist. Ihr Schicksal ist das des Sidekicks und des Kampf-Clowns. Ganz anders dagegen in der Romanreihe "Die Zwerge" vom deutschen Fantasy-Primus Markus Heitz: Hier spielen die raubeinigen Krieger ausnahmsweise die erste Geige. Und siehe da – der Solo-Auftritt der kleinen Leute war überraschend erfolgreich: So wurde "Das Schicksal der Zwerge" 2009 mit dem deutschen"Phantastik-Preis" ausgezeichnet, außerdem schaffte es die bärtige Schwarte auf Platz 3 der Spiegel-Bestseller-Liste – unmittelbar hinter Bellestrik-Schwergewichtern wie Ken Folletts "Die Tore der Welt" oder Charlottes Roches "Feuchtgebiete". Grund genug für Jan Theysen und sein Team von King Art, die bekannte Vorlage in ein PC- und Konsolen-RPG zu verwandeln: Dafür heimste das Team hinter Adventure-Hits wie "The Book of Unwritten Tales" oder "Die Vieh-Chroniken" auf Kickstarter über 300.000 Dollar ein – genug Geld, um die muskulöse Ork-Köpfungssmaschine unter Volldampf zu setzen und mit gut geöltem Getriebe in Richtung Release rasseln zu lassen. Genau die richtige Zeit also, um uns mit Chef-Zwerg Jan Theysen ans Lagerfeuer zu setzen und bei ein paar Humpen Met über das Projekt zu plauschen.

 


 

Warum ausgerechnet die Zwerge? Ist das eine Vorlage, die Ihr persönlich besonders schätzt? Und wie lief die Zusammenarbeit mit Markus Heitz?


Ich habe den ersten Zwerge-Roman vor sieben Jahren gelesen. Schon damals dachte ich "Coole Story, wäre super für ein Computerspiel", ohne darüber nachzudenken, dass wir dieses Spiel ja machen könnten. Jahre später hat unser Game-Designer Lukas das "Zwerge"-Brettspiel mitentwickelt, und über ihn kam der Kontakt zu Markus zustande. Markus hatte Interesse an einer Versoftung des Materials und dann von Anfang an klar gemacht, dass er uns zwar gerne zur Verfügung steht, wenn wir Fragen haben oder Input brauchen, er uns aber vertraut, ein gutes Spiel zu machen. Die Zusammenarbeit lief hervorragend. Wir haben Markus einige Male um Rat gebeten und er hat einen neuen Charakter sowie eine Questreihe zum Spiel beigesteuert.
 


 

Verschafft Euch die Vorlage beim Spiel-Design einen Vor- oder eher einen Nachteil? Ist es für Euch praktisch, auf ein vielleicht schon recht akkurat ausgearbeitetes Universum zurückgreifen zu können – oder schränkt es Euch eher ein?


Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Geschichte des ersten Romans als Hauptquest des Spiels zu nutzen anstatt eine "neue Geschichte in derselben Welt" zu erzählen. Natürlich ist das einerseits eine Einschränkung – wir können z.B. nicht einfach jemanden sterben lassen, der im Roman überlebt, weil wir sonst große Probleme mit einem möglichen "Die Zwerge 2" hätten. Andererseits konnten wir aus dem Vollen schöpfen, was die Welt, die fantastischen Charaktere und die Geschichte angeht.

 


 

Mit welcher Technologie bzw. Engine arbeitet Ihr an dem Spiel? Nutzt Ihr eigene Tools? Solche, die Ihr evtl. schon bei anderen Spielen aus Eurem Hause eingesetzt habt?


Wir benutzen – wie für alle unsere Spiele – die "Unity-Engine". Bei "Die Zwerge" haben wir die aktuellste Version ("Unity 5.4") eingesetzt, was uns viele technische und künstlerische Möglichkeiten gegeben hat. So setzen wir zum ersten Mal 'Physics Based Shading' ein – also eine Technik, die besonders realistische Oberflächen im Spiel ermöglicht. Auf der "Unity-Engine" aufsetzend haben wir eine eigene Technologie entwickelt, die wir "HORDE" nennen. Mit "HORDE" kann man Charaktergruppen ein Schwarmverhalten und physikalische Eigenschaften verpassen. Das ist für ein Spiel wie "Die Zwerge", wo es viele Massenschlachten mit wenigen Helden und vielen Gegnern gibt, sehr wichtig und gab es in der Form noch nicht.
 

Auf das "HORDE"-Feature sind die Entwickler besonders stolz: Es simuliert das Truppen-Verhalten im Kampfgerangel – dabei kommt es mitunter sogar zu Ereignissen, die selbst das Studio nicht vorhersehen konnte.
Auf das "HORDE"-Feature sind die Entwickler besonders stolz: Es simuliert das Truppen-Verhalten im Kampfgerangel – dabei kommt es mitunter sogar zu Ereignissen, die selbst das Studio nicht vorhersehen konnte.

 

Wie frei wird sich der Spieler bewegen können? Geht Ihr in Richtung Open World – oder schlagt ihr einen eher erzählerisch geprägten Pfad ein, bei dem ein Szenario nach dem anderen "abgearbeitet" wird?


Der Spieler kann sich auf der Worldmap frei bewegen. Er kann optionale Quests erledigfen und Orte besuchen oder eben nicht. Früher oder später muss er sich wieder um die Hauptquest kümmern aber wir haben uns bemüht, den Spielern Optionen zu bieten. Schon allein, weil das den Wiederspielbarkeitswert des Spiels steigert.
 


 
Wo liegt der Fokus? Auf Erkundung der Spielwelt? Der Geschichte und ihren Charakteren? Den Kämpfen? Auf Grinding und Charakter-Entwicklung?


Grinding gibt es gar nicht im Spiel. Ein Fokus des Spiels liegt sicherlich auf den Schlachten und darauf, wie man die 15 spielbaren Helden mit ihren über 70 Skills kennenlernt und einsetzt. Aber es gibt immer wieder auch ruhigere Abschnitte, in denen es um Exploration und Story geht. Die Mischung macht’s.

 


 

Den Videos nach bedient Euer Zwerge-RPG ebenso wie Eure "Vieh-Chroniken" erstaunlich hohe Production-Values, die locker "Dragon Age"-Niveau zu erreichen scheinen. Wie macht Ihr so was – als dt. Entwickler, mit hohen Lohnkosten und vergleichsweise niedrigem Budget? Hättet Ihr den Titel ohne Kickstarter realisieren können?


Danke. :-) Wir arbeiten als Team schon lange zusammen, entwickeln unsere Technologien mit jedem Projekt weiter und haben Leute, die nicht einfach irgendwas abliefern wollen, sondern tolle Games. Wie holen so viel raus wie möglich und natürlich hilft Kickstarter dabei. Nicht nur, weil uns eine Kickstarter-Kampagne zusätzliches Budget bringt – sie gewährt uns auch Zugang zu tollen Fans, die helfen wollen, das Spiel zum Erfolg zu machen. Wir haben viel Feedback aus der Community erhalten und noch mehr moralische Unterstützung. Beides ist Gold wert!
 


 

Worauf seid Ihr bei diesem Projekt besonders stolz? Das kann ein Spiel-Element sein, aber auch gerne ein technologischer Aspekt.


Ich glaube, mit dem "HORDE"-System werden wir auch künftig noch eine Menge Spaß haben. Es ist cool, wenn man so ein kompliziertes Feature entwickelt, ohne wirklich zu wissen, wo man am Ende rauskommen wird. Wir hatten neulich eine Situation, in der wir einem Oger einer große Keule in die Hand gedrückt haben und er beim Ausholen aus Versehen ein paar Orks hinter sich mit der Keule erwischt hat. Die Orks sind dann zurückgetaumelt und ein paar von ihnen geradewegs in einen Abgrund gestürzt. Das haben wir nie programmiert oder auch nur vorhergesehen… es ist einfach passiert, weil "HORDE" gesagt hat, das passiere nun mal, wenn ein Oger nicht vorsichtig mit seiner Keule ist. Sowas macht Spaß! Ein anderer Punkt, auf den wir stolz sind, das sind die Verbesserungen bei unseren Cut-Scenes und Animationen. Da haben wir qualitativ einen Sprung nach vorne gemacht, glaube ich.
 

"Die Zwerge" folgt der Geschichte der ersten Romans und schleust uns durch die aus Heitz' Vorlage bekannten Schauplätze. In den Kämpfen heißt es für gewöhnlich: "Wenige gegen Viele".
"Die Zwerge" folgt der Geschichte der ersten Romans und schleust uns durch die aus Heitz' Vorlage bekannten Schauplätze. In den Kämpfen heißt es für gewöhnlich: "Wenige gegen Viele".

 

Erst kürzlich hat der BIU einen Bericht veröffentlicht, nach dem die deutsche Spielebranche bzw. ihr Output sogar im Schrumpfen inbegriffen sind: Woran liegt's? Habt Ihr auch das Gefühl, dass es für unseren Spielemarkt eher ab- als aufwärts geht?


Ich denke, die Anzahl von Spielen ist in den letzten Jahren rapide gewachsen, auch in Deutschland. Aber das sind häufig kleine Games. Indie-Spiele, Studenten-Projekte usw. Es gibt nur noch sehr wenige Publisher und Entwickler im deutschsprachigen Raum, die mittelgroße Entwicklungen stemmen können – vom Know-How her, vor allem aber was die Finanzierung angeht. In der Theorie war es nie leichter als heute, ein Spiel zu entwickeln und international (digital) zu vermarkten. Aber es fehlen die Geldquellen für Entwickler, um den Schritt vom kleinen Indie in der eigenen Bude zum professionellen Entwickler zu machen.

 


 

Erreicht Ihr ein internationales Publikum mit Euren Titeln? Wenn ja, wie groß ist das? Und ist das Heimspiel noch immer Eure wichtigste Einnahmequelle – oder ist das inzwischen der ausländische Markt? Welche Plattform spielt in diesem Zusammenhang die größte Rolle: Der PC oder die Konsole?


Wir haben eigentlich schon immer 70 oder mehr Prozent unseres Umsatzes außerhalb von Deutschland gemacht. 20 bis 30 Prozent deutschsprachige Kunden ist dabei aber immer noch ein sehr hoher Anteil – was natürlich damit zusammenhängt, dass wir mit Point'n'Click-Adventures, Rundenstrategie und jetzt "Die Zwerge" Spiele entwickeln, die in Deutschland überproportional beliebt oder bekannt sind. Aber niemals würden wir einen Titel allein für den deutschsprachigen Markt entwickeln – das macht für uns keinen Sinn. Der PC und die beiden großen Konsolen (gemeinsam) lieggen dabei ungefähr gleichauf.

 


 


Bezüglich der Spiele-Entwicklung bzw. des dafür erforderlichen Budgets hört man oft widersprüchliche Aussagen: Die einen meinen, Spiele-Entwicklung würde aufgrund der komfortablen Entwicklungs-Tools und all der Architektur-seitig verwandten Hardware-Plattformen immer einfacher und damit auch günstiger werden. Auf der anderen Seite stehen die großen Publisher, die darüber ächzen, dass ihre AAA-Blockbuster trotz Think-Tanks und konzernübergreifend genutzter Entwicklungs-Umgebungen stetig kostspieliger werden. Was stimmt denn nun?


Beides ;-) Es war nie einfacher und günstiger, Spiele zu entwickeln. Aber Titel wie "Assassin's Creed", "GTA" oder "Uncharted 4" betreiben einen unglaublichen Aufwand, was die Qualität und vor allem die Menge an Inhalten angeht. Man kann das mit Filmen vergleichen: Es war nie einfacher, einen Film zu drehen. Jeder hat ein paar Kameras im Haus, man muss keinen Film mehr entwickeln lassen, und Videoschnitt-Software kostet auch nicht mehr die Welt. Trotzdem verschlingen Sommer-Blockbuster heute mehr Budget als jemals zuvor, weil hier eine gigantische Materialschlacht stattfindet. Die großen Blockbuster sind cool und fast jeder von uns schaut sie sich gerne an. Aber gleichzeitig wird niemand behaupten, ein Film müsse 200 Millionen Dollar kosten, um gut zu sein. Es gibt auch kleinere Filme, die Spaß machen. Die müssen sich eben nur was einfallen lassen, über das sie mit einem Zehntel oder Hundertstel des Budgets Eindruck schinden können.

 

 

(Das Interview führte Robert Bannert)