Schlanke, in der Sonne glitzender Wolkenkratzer aus Stahl ragen in einen strahlend blauen Himmel. Über die breiten Straßen flitzen surrende Luftkissen-Autos, dazwischen huschen Arbeiter
in schnieken Anzügen geschäftig hin und her. In den Wohnanlagen tollen lachende Kinder über die Parkflächen. Inzwischen huscuen über die benachbarten Felder schwebende Roboter, um die
Sonnenblumen-Ernte einzuholen. Deren Erträge werden dann ein paar Straßenzüge weiter zu den Polymer-Fabriken gekarrt, damit die Luxus-Eigenheime und die Fabriken von morgen entstehen können. Oder
futuristische Prachtbauten wie der "Infodrome", der für Information und Entertainment sorgt – damit die Bewohner der todschicken Häuschen zufrieden und produktiv bleiben. Trotzdem hat dieses
vermeintliche Science-Fiction-Utopia ein paar handfeste Problemchen: Die Ressourcen auf der Erde werden knapp – darum zieht es den "Anno"-Unternehmer im Verlaufe seiner Kampagnen-Karriere
fast schon zwangsläufig auf den Mond – denn nur hier schlummern noch ungeahnte Energie-Reserven.
Natürliche Ressourcen, Energie-Reserven, Arbeitskräfte: Wie immer dreht sich auch im neuen "Anno" alles um Rohstoff- und Produktionsketten. Und natürlich die Konstruktion von Gebäuden oder
Instanzen, mit denen der jeweilige Bedarf gedeckt wird. Und ein neuer generiert. Allerdings hat Ubisofts deutsche Entwickler-Schmiede BlueByte die bei "Anno 2070" noch überkomplexen Mechanismen
dahinter gehörig entschlackt. Zwar gehört "Anno" seit 1998 zu den erfolgreichsten Vertretern der typisch deutschen Spiele-Gattung "Schaffe, schaffe, Häusle baue!". Doch nach 17 Jahren
Design-Wucherung war die Serie zuletzt ganz schön verkopft – trotz des mutigen Sprungs vom dreckigen Mittelalter in die sterile Zukunft, den man bereits mit "Anno 2070" getan hat. Jetzt sind
im Zuge der Design-seitigen Schlankheits-Kur zum Beispiel die ehemals dominanten Computer-Gegner fast vollständig verschwunden: Entsprechend entspannt spielt sich "Anno 2205", der Konkurrenzdruck
aus den Vorgänger-Spielen ist weg. Primitiv ist der Trip in die Zukunft deshalb aber noch lange nicht: Das Wechselspiel aus Produktion und Produktionsbedarf ist hier so clever ausgeklügelt wie
noch nie – wer glaubt, endlich die richtige Balance zu gefunden zu haben, der findet beim akribischen Absuchen seiner Metropolen garantiert den nächsten Fehler, irgendeine Material-Verknappung
oder einen anderen kritischen Bedarfsfall. Kurzum: Hier gibt es immer zu tun.
Doch ob es nun darum geht, die Angestellten zu einem höheren Rang zu befördern, damit sie komplexere Produktionsstätten hochziehen können – oder darum, dafür die richtigen Bauplätze zu
finden: Der ausgefuchste Kreislauf aus Produktion und Konsum wird so selbstverständlich und spielerisch vermittelt, dass sich selbst ausgesprochene Aufbau- und "Anno"-Muffel zurechtfinden. Nicht
jedes Spiel-Element ist von Anfang an selbsterklärend, doch durch die geschickte Peu-a-Peu-Vermittlung aller Mechanismen beschreiben die Mainzer Entwickler genau die richtige Lernkuve. Genau
richtig, um Profis wie Neulinge unter dem selben futuristischen Dach zu vereinen – und genau richtig, um den Spieler von der ersten Minute an in eine Art seliges Sucht-Koma zu
versetzen.
Wegweisend ist das neue "Anno" aber auch deshalb, weil BlueByte zum ersten Mal auf generische Szenarien aus dem Zufallsgenerator verzichtet: Hier wollen per Übersichts-Globus immer mehr
unterschiedliche Gebiete und Klimazonen beackert werden, und jedes Areal wurde von den Designern in mühevoller Handarbeit angelegt. Das Ergebnis ist nicht nur ausgesprochen hübsch – es
schafft vor allem ein hochinteressantes Wechselspiel zwischen den Gebieten, denn nicht jede Ressource kann überall gewonnen werden. Aber sie wird früher oder später überall gebraucht. Und jedes
Terrain bringt seine eigenen Anforderungen an das Talent des Spielers als Städteplaner: In der Arktis und auf dem Mond ist die Baufläche noch stärker begrenzt als auf den grünen Inseln des
Start-Szenarios. Außerdem ist es ratsam, im Ewigen Eis die Arbeiter-Behausungen und Fabriken in unmittelbarer Nähe zueinander anzulegen: Dir Restwärme der Produktions-Bauten sorgt dafür, dass es
in den Häuschen des Personals angenehm kuschelig ist. Auf dem Rohstoff-reichen Erdtrabanten wiederum wollen Bedrohungen wie das ständige Bombardement durch Mini-Meteoriten einkalkuliert
werden.
Wer damit leben kann, dass das neue "Anno" nicht mehr auf den Konkurrenzkampf mit der KI setzt und jegliches Gefecht zur unwichtigen Randerscheinung verkommen ist, der wird mit "2205" rundum
glücklich: Ein ausgefeilteres, dynamischeres und zugänglicheres Aufbau-Spiel dieses Kalibers sucht man aktuell vergebens.
Robert Bannert
9.5
sehr gut
Grafik: sehr gut
Sound: sehr gut
Steuerung: sehr gut
Spielspaß: sehr gut