Vor gerade mal neun Monaten ist der französische Entwickler Dontnod mir seiner Adventure-Miniserie "Life is Strange" durchgestartet: Wie bei den Spiele-Reihen von "Walking
Dead"-Entwickler Telltale wird die Geschichte häppchenweise serviert, für jeweils sechs Euro gibt's ein Spielerlebnis von rund vier Stunden.
Jetzt geht das fast vollständig auf Dialog und Story gebürstete Spiel um die beiden Teen-Girls Max und Chloe in die fünfte und letzte Runde. Grund genug, die Geschichte noch mal Revue
passieren zu lassen…
Max studiert im Ostküsten-Nest Arcadia Bay Fotografie, doch Stadt und Campus werden seit jeher von der skrupellosen und stinkreichen Prescott-Familie regiert. Als Max auf ihre punkige
Kindheitsfreundin Chloe trifft und immer mehr Mädchen aus dem Ort auf rätselhafte Weise verschwinden, da macht sich das Teenage-Duo auf die Suche. Dabei hilft den beiden eine fantastische
Fähigkeit, die Max erst kurz nach Start des Abenteuers entwickelt: Die schüchterne und unscheinbare Foto-Künstlerin kann Kraft ihrer Gedanken die Zeit zurückspulen.
Entwickler Dontnod nutzt das fantasievolle Feature, um dem Subgenre des erzählerisch getriebenen Dialog-Adventures neue Impuls zu verleihen: Sind ein Gespräch oder eine andere Situation nicht so
verlaufen, wie Max und Chloe sich das vorgestellt haben, dann wird zurückgespult und wiederholt. Auf diese Weise errät Max unter anderem den Tascheninhalt ihrer Freundin oder rettet einen von
Flammen bedrohten Fischer. Hierfür begibt sich einfach dorthin, wo der Mann später in Bedrängnis gerät – und zwar vor Ausbruch des Feuers.
Vor allem aber nutzen die Entwickler ihren "Zeitdreher", um den Entscheidungen des Spielers mehr Tragweite verleihen: Tatsächlich wirken sich viele Situationen aus den ersten beiden Episoden der
Serie so stark auf den Verlauf der Handlung aus, dass sich im vierten und fünften Teil völlig andere Situationen ergeben. Das Paradebeispiel dafür ist die von ihren Mitschülern gehänselte Kate,
die sich am Ende der zweiten Episode vom Schulgebäude stürzen will: Die deprimierte Schülerin durch geschickte Dialog-Entscheidungen vor dem Sprung zu bewahren – das ist verdammt knifflig.
Aber wer die verwirrte Kate vor dem Suizid bewahren kann, der bekommt später ein teilweise dramatisch anderes Spiel serviert. Selbst scheinbar beiläufige Ereignisse wirken sich später – wenn
auch nur marginal – aus: Wem Max zu Beginn der Serie hilft oder für wen sie ein paar freundliche Worte übrig hat, der wird sich später erkenntlich zeigen. Ein schönes Beispiel hierfür ist
Drogen-Dealer und Rowdie Frank: Der lebt zusammen mit seinem Kampfhund in einem rostigen Trailer und erweist sich – je nachdem, wie man ihn vorher behandelt hat – entweder als ausgesprochen
unangenehmer Zeitgenosse oder aber als netter Kerl.
Das zunächst noch verschüchterte Zurückdrehen von wenigen Minuten Spielzeit bekommt gegen Ende des dritten Teils einen entscheidenden Twist verpasst: Indem sie Fotografien fixiert, kann Max zum
Zeitpunkt der Aufnahme zurückspringen. Der Aktionsradius ist hierbei zwar auf den Foto-seitig abgebildeten Raum beschränkt, aber durch ihre stetig zunehmenden Foto-Zeitsprünge sieht sich Max
schließlich mit einem Wirrwar aus unterschiedlichen Realitäten konfrontiert.
Obwohl "Life is Strange" gerade in seiner letzten Episode einen Tick zu konfus und abstrakt wird, bekommt Dontnod noch die Erzählkurve: Das Ende entlarvt viele Hinweise aus vorherigen Teilen als
geschickt gelegte Falschfährten und verzweigt sich in zwei unterschiedliche Schluss-Sequenzen. Das eine Ende fungiert dabei als runder Abschluss und narrativer Erklärbär – das andere als
schlichtes, aber befriedigendes Happy-End. Positiv: Nach Abschluss der Serie darf der Spieler jederzeit zu Schlüsselmomenten zurückspringen, um weiter mit unterschiedlichen Entscheidungen zu
experimentieren.
Trotz einiger Logik- und Spannungs-Ausreißer erweist sich "Life is Strange" am Ende als der aktuell interessanteste Vertreter des Hybrid-Genres. Dontnods Serie funktioniert als spannende
Erzählung, schneidet aber auch als Point'n'Click-verwandtes Adventure-Erlebnis merklich besser ab wie die ähnlich aufgebauten Spiele von Telltale. Starke Charaktere und Entscheidungsmomente von
spürbarer Tragweite sind die Trümpfe des Fünfteilers, der außerdem mit jeder weiteren Episode immer stärker inszeniert ist. Wer sich nicht am hohen Girlie-Faktor und einer Überdosis Moralin
("Immer schön brav sein, liebe Schüler!") stört, der bekommt hier eine der stärksten Spiele-Geschichten überhaupt.
9.0
sehr gut
Grafik: befriedigend
Sound: sehr gut
Steuerung: sehr gut
Spielspaß: sehr gut