Eigentlich wurde das Fan-Projekt "Pier Solar and the Great Architects" für Segas selige 16Bit-Modulkonsole Mega Drive entwickelt. Jetzt setzt man den retrospektiv gepolten Pixel-Kult für
WiiU, Xbox One, Xbox 360, PS4, PS3 und PS Vita um. Das Ergebnis knüpft an die Blütezeit japanischer Pixel-Rollenspiele an.
für WiiU (getestet), Xbox One (getestet), Xbox 360, PS4, PS3, PS Vita
von WaterMelon
ein Spieler
für Fortgeschrittene und Profis
im Handel
ca. 15 Euro
Runden-Keile in der Horizontalen: Die taktischen Gefechte aus "Pier Solar" wirken wie "Lunar: Silver Star Story" entliehen. Anders als bei den 16Bit-"Final Fantasies" sieht man tatsächlich, wie die Helden ihre Feinde verdreschen.
Die Charakter-Artworks wurden liebevoll gezeichnet, sind aber nicht so stilsicher wie die Originale aus der Feder japanischer 16Bit-Mangaka.
Indie-Games, die aussehen wollen, wie ihre Vorbilder aus der 8Bit- bzw. 16Bit-Zeit – das ist schon lange keine Seltenheit mehr. Retro-Spiele dagegen, die als Neuerscheinung für konsolische Dinosaurier wie Segas Mega Drive entwickelt werden – die sind tatsächlich etwas Besonderes. Darum sorgt "Pier Solar and the Great Architects" bereits seit seiner Ankündigung 2004 bei Fans und Presse für Furore: Das Herzens-Projekt einer Mega-Drive-Community startet als simples Hobby-Spielchen, entwickelt sich aber schließlich zu einem Modul-Monster von 64 MBit – damit ist das Pixel-Rollenspiel die größte jemals für das Mega Drive ausgelieferte Cartridge. Auch wenn es fast zwei Jahrzehnte nach dem erklärten 'Tod' des Systems erscheint.
Mit der HD-Version präsentieren die Entwickler jetzt eine Fassung, die man für aktuelle Konsolen dezent aufpoliert hat: Die Pixel-Hintergründe des Mega-Drive-Moduls wurden größtenteils gegen fein aufgelöste 2D-Grafiken ausgetauscht, das launige 16Bit-Gedudel wiederum durch voluminöse Orchester-Parts und kernige Gitarren-Riffs ergänzt, damit er nach Mega-CD klingt – SEGAs glücklosem CD-ROM-Aufsatz für das Mega Drive, der das Leben der Modul-Konsole künstlich verlängern sollte.
Doch auch ungeachtet dieser Feinheiten zeigt das in Europa entstandene "Pier Solar" ein Entwickler-seitiges Verständnis der damaligen Rollenspiel-Hochzeit, die den meisten japanischen Herstellern schon lange abhanden gekommen ist: Die Geschichte um ein Teenager-Trio, das über die Relikte einer verflossenen Zivilisation stolpert, greift nicht nur gekonnt die erzählerischen Klischees des klassischen Japano-RPGs auf – auch die inszenatorischen Stilmittel von früher werden gekonnt zitiert. Puppige Pixelhäuser, liebevoll animierte Miniatur-Sprites, aus der Horizontalen beackerte Rundenkämpfe, lockere Dialoge voll launiger Kalauer und typische 16Bit-Effekte: Freunde des Genres fühlen sich an Klassiker wie die frühen "Final Fantasy"-Episoden oder "Lunar: Silver Star Story" erinnert, die Mitte der 90er zu den Vorzeigebeispielen ihrer Zunft gehörten. Hier und da erlauben sich die Entwickler Schnitzer wie eine allzu eigenwillige Kombination von Pixel-Optik und fein gezeichneter HD-Grafik oder irritieren durch ein kontrastarmes, "Secret of Mana"-inspiriertes Ringmenü – doch abgesehen von diese Details ist "Pier Solar" der Pixel-gewordene Traum jedes RPG-Retronauten. Die WiiU-Fassung wartet dabei sogar mit eigens den Gamepad-Bildschirm entworfenen Menüs auf – nur sind die Touchscreen-Bedienelemente leider so futzelig geraten, dass man von der Nutzung dieses zusätzlichen Features schnell absieht. Die Xbox-One-Fassung wiederum erlaubt sich leider einen besonders garstigen Schnitzer: Auf einigen Geräten beantwortet "Pier Solar" den App-Start lediglich mit einem leeren Bildschirm. Wer zu den unglücklichen 'Auserwählten' gehört, der muss sein XBL-Profil von der Konsole löschen und anschließend wieder herunterladen – dann sollte das Problem behoben sein.
8.5
sehr gut
Grafik: gut
Sound: sehr gut
Steuerung: sehr gut
Spielspaß: sehr gut
GRAFIK: Viele Hintergründe sind wunderschön gezeichnet und die Protagonisten gekonnt gepixelt – doch das eigenwillige Zusammenspiel aus retrospektiv gepixelten Elementen und modernem HD-Look funktioniert nicht immer. Kurzum: Hübsch, aber gewöhnungsbedürftig.
SOUND: Die virtuose Mixtur aus Synthie-Klängen, orchestral instrumentiertem KlingKlong bzw. Täterätä, Pop-Rhythmen und rockigen Gitarrenriffs fängt perfekt den Stilmix aus der Hochzeit des JRPGs ein.
STEUERUNG: Button-Belegung und Steuerung (wahlweise per Analog-Stick oder Digi-Kreuz) enspricht den 16Bit-Vorbildern, die Ringmenüs sind allerdings reichlich konfus geraten – das haben die klassischen Vorbilder meist besser hinbekommen. Auf der WiiU wurden einigen Zusatzfeatures auf den Touchscreen ausgelagert, hier sind die entsprechenden Bedienfelder für eine intuitive und schnelle Benutzung leider viel zu fein.
SPIELSPASS: Nicht nur für ein Fan-Projekt ist "Pier Solar" beachtlich, auch mit den zitierten Klassikern kann es das auf 16Bit getrimmte Mammut-RPG locker aufnehmen – auch wenn es an manchen Stelle nicht so stimmig und stilsicher wirkt wie seine Vorbilder.