Kritik: Wolfenstein – The New Order

 

Einen Klassiker neu zu erfinden, das ist keine allzu dankbare Aufgabe – besonders dann nicht, wenn der Oldie zu Wegbereitern eines ganzen Genres gehört und ein nach heutigen Maßstäben so lasches Regelwerk hat, dass es für eine treffsichere Neu-Interpretation fast schon zu viel Spielraum bietet. id's Pixel-Ballerei "Wolfenstein 3D" hat das Ego-Shooter-Genre quasi begründet und bereits über ein Jahr vor dem ersten "Doom" aus allen Rohren gefeuert. Weil Carmack & Co. in den nur karg texturierten Raytrace-Korridoren Nazi-Schergen aufmarschieren ließen und die Bollwerke mit allerlei "verfassungsfeindlichen Symbolen" tapezierten, landete "Wolfenstein 3D" in Deutschland auf dem Index. Ein Stigma, unter dem die Marke bei uns noch heute leidet, wenn Redakteure und Grafiker jedes Artwork und jeden Screenshot akribisch nach Swastikas und Siegrunen durchforsten. Denn die Entdeckung eines derart verpönten Symbols führt bestenfalls zu einer Abmahnung, schlimmstenfalls zu einem Verfahren und der Verbannung eines Print-Magazins aus den Regalen. Darum lässt der neue Entwickler MachineGames (unter Verwendung der bereits für "Rage" verwendeten Engine "id Tech 5") für die Wiederbelebung der Marke zwar nach wie vor deutsche Faschisten in das Mündungsfeuer hechten, doch statt Hitler bellt der fiktive Diktator 'General Totenkopf' die Befehle, während seine Soldaten nicht unter dem Hakenkreuz, sondern einem fetten "W"-Emblem marschieren. 

 

Aber die Entwickler wagen noch einen weiteren erzählerischen Kniff: Nur der Auftakt des Spiels handelt in den 40er-Jahren (und zwar unmittelbar nach Ende des eigentlichen zweiten Weltkriegs), danach geht's in die 60er. Und das funktioniert so: US-Ballermann B.J. Blazkowicz verfolgt zusammen mit seiner Einheit den deutschen General Totenkopf. Eigentlich ist das Nazi-Regime geschlagen, doch der Fiesling mit der skelettierten Narbenfresse will einfach nicht aufgeben. Totenkopf ist auf dunklen Pfaden an absurde High-Tech-Spielereien gekommen, mit deren Hilfe er z.B. gigantische Mechs und riesige Roboter-Kampfhunde über die Schlachtfelder stapfen lässt. Bei dem glücklosen Versuch, den General zur Strecke zu bringen, bekommt Blazkowicz ein paar Schrapnellsplitter in den Denkapparat – und vegetiert über ein Jahrzehnt in einer polnischen Klinik vor sich hin. Als der invalide Kämpfer Anfang der 60er endlich wieder zu sich kommt (der jahrelang an den Rollstuhl gefesselte Soldat ist auf wundersame Weise noch genauso fit und muskulös wie zum Zeitpunkt der Verletzung), hat sich die Welt dramatisch verändert: Unter der Führung Totenkopfs haben die Nazis (hier schlicht 'das Regime' genannt) den Krieg doch noch gewonnen – ihren zyklopischen Bauten sind auf der ganzen Welt allgegenwärtig, sogar den Mond haben die Faschos besiedelt. 

 

 

Man kann den Schergen von Totenkopf nachsagen was man will – aber die Vereinigung der Welt unter der Herrschaft einer einzigen Macht hatte zumindest einen 'positiven' Effekt: Die Technologie ist während der frühen 60er in manchen Bereichen zumindest ähnlich weit entwickelt wie heute, in anderen sogar weiter. Urige, von Feuer und Dampf betriebene Roboter sind alltäglich, C64-artige Computer finden sich in fast jedem Nazi-Büro und die monolithschen Prachtbauten des Regimes wuchern dank einer ungewöhnlichen Zement-Rezeptur mit der Geschwindigkeit eines Schimmelpilzes über den Globus.

 

Nachdem Blazkowicz den Überfall eines Nazi-Stoßtrupps auf die polnische Klinik überlebt und zusammen mit der Tochter des Chefarztes nach Berlin – also direkt in die Höhle des Löwen – reist, schließen sich die beiden dort dem Widerstand an. In stillgelegten Korridoren und Fabrik-Anlagen unter dem Hauptquartier Totenkopfs hat sich ein bunter und im Spielverlauf stetig wachsender Haufen von Widerständlern eingefunden, die den Nazis die Suppe versalzen, wo sie nur können. Gemeinsam findet man schließlich heraus, woher die unheimliche High-Tech-Macht des Generals kommt – und entwickelt einen Plan, die Welt aus dem Würgegriff der Steampunk-Faschisten zu befreien.

 

 

MachineGames wagt sich für die Inszenierung des Anti-Nazi-Shootouts an das Experiment, neue und alte Genre-Mechanismen miteinander zu versöhnen: Heute standardisierte Verfahren wie Deckungs-Ballerei, Schleichgänge und ein Waffenrad zur Selektion der gewünschten Bleipuste werden mit Antiquitäten aus Uropas Action-Kiste gekreuzt – darunter vor allem die aus dem Ur-"Wolfenstein" und "Doom" bekannten Medikits und Rüstungs-Elemente. Beides poliert – einmal aufgesammelt – Prozentpunkt für Prozentpunkt die jeweilge Werte-Skala (Gesundheit bzw. Panzerung) auf – das aus heutigen Genre-Vertretern bekannte automatische Regenerieren gibt es in "New Order" nicht. Oder genauer: Unser Super-Soldat gewinnt bis zu 20 Punkte automatisch zurück – für alles, was darüber hinausgeht, braucht er Medikit-Instantz-Versorgung.

So drollig diese Hommage an alte Shooter-Werte auf den ersten Blick auf erscheinen mag, so wenig Sinn macht sie auf den zweiten: Level-Logik und Spielbalance des Titels entsprechen nämlich eher der eines modernen Shooters – darum harmoniert das neue "Wolfenstein" nur bedingt mit dieser interessanten, aber am Ende leider herzlich nutzlosen Reminiszenz an alte Baller-Tage. 

 

Doch das größte Problem von Blazkowicz' Abenteuer ist nicht etwa die aufgezwungen erscheinende Punkte-Klauberei, sondern vielmehr die qualitative Inkonsistenz des gesamten Werks: Während manche Levels in "New Order" mit wundervoll plastischen Kulissen und herrlich detaillierten Protagonisten aufwarten, werden andere von langweiligen, teils pixelig texturierten Kulissen dominiert und unansehnlichen Gesichtsbaracken bewohnt – ganz so, als hätte man hier entweder id's Engine noch nicht ganz im Griff gehabt oder im Interesse einer zügigen Produkt-Fertigstellung das B-Team ranlassen müssen.

Diesem Umstand ist es dann auch zu verdanken, dass "Wolfenstein" während der ersten Stunden nicht so recht in die Gänge kommen will: Bis Blazkowicz endlich auf den Berliner Widerstand trifft und sich gezielt an die Bekämpfung des Regimes machen kann, ist "New Order" ein Sammelsurium aus langweiligen, häufig beliebigen und dürftig aufeinander abgestimmten Level-Versatzstücken. Die lassen zwar bereits das Potential des Titels erahnen, vermitteln aber allesamt nicht so recht die Faszination des zugrundeliegenden Szenarios: Wenn hier fantastische Vehikel über die Schlachtfelder stapfen und ganze Nazi-Dutzendschaften unter Blazkowicz' unbarmherzigen Ansturm blutverschmiert in die Knie gehen – dann lässt uns das schlichtweg kalt, weil zwar jedes Teil für sich zu begeistern weiß, ihr gemeinsamer Auftritt aber zu kraftlos und austauschbar wirkt.

 

 

Doch zum Glück dreht der Kampf gegen Totenkopfs Heerscharen dann doch noch ordentlich auf: Nach der Missionsbesprechung in der Rebellen-Basis (nach ca. vier Spielstunden) wird "Wolfenstein" dann doch noch die Sorte Singleplayer- und Kampagnen-Ego-Shooter, die man sich erhofft hat. Auch wenn es dem Titel narrativ an der nötigen Selbstironie mangelt und Held Blazkowicz im Verlaufe des Abenteuers erschreckend oft die Persönlichkeit wechselt (man wusste wohl nicht so recht, ob man ihn als sensiblen Leute-Versteher oder als schießwütiges Raubein anlegen soll), erschafft MachineGames' Interpretation des id-Klassikers jetzt endlich eine wunderbar Klischee-aufgeladene Kombination aus 60er-Jahre, Nazi- und Steampunk-Zitaten. Obendrein erschaffen neckische Details wie Schallplatten von den 'Käfern' (die deutsche Version der 'Beatles') ein angenehm schrulliges Parallel-Universum, das wie ein deutsch geprägtes Zerrbild unserer Popkultur wirkt. 

 

Auch spielerisch gibt sich "Wolfenstein" nach den ersten schwachen Stunden nur wenige Blößen: Elemente wie ein Laser-Cutter (zum Zerschnippeln von Gittern und Blechen) können zwar nicht darüber hinwegtäuschen, dass MachineGames hier eben doch nur einen konservativen Allerwelts-Shooter abliefert – aber der macht zumindest richtig Spaß. Wirklich ärgerlich ist dagegen der auffallend schlechte Sound-Mix der Ballerei: Die Waffen und Explosionen geben ein meist nur schwachbrüstiges 'Piff-Paff' von sich, und die Stimmen sind (zumindest in der deutschen Version) so leise abgemischt, dass sie häufig unhörbar im übrigen Sound- und Effekt-Chaos untergehen. 

 

Wer einen soliden Kampagnen-Shooter mit interessantem Szenario sucht und dabei über einige Schwächen hinwegsehen kann, der macht mit dem neuen "Wolfenstein" nichts vekehrt. Trotzdem: MachineGames hätte  aus dem attraktiven Szenario deutlich mehr rausholen können. 

 

(7.5 von 10 / "gut")


MachineGames und Bethesda • ab sofort für PC, Xbox 360, Xbox One, PS3, PS4 • ca. 60 Euro • ab 18 Jahren • für Fortgeschrittene und Profis


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut

10 = legendär